UPDATE 21.06.: Inzwischen sind alle Stellungnahmen der Sachverständigen auf der Seite des BMI auch online
Seit letztem Jahr wird nicht nur diskutiert, Asylverfahren in sog. Drittstaaten durchzuführen, sondern auch politisch teilweise heftig gefordert. Das Modell hat es sogar geschafft, ohne eine rechtliche Grundlage ins Grundsatzprogramm der CDU einzuziehen.
Hierzu hat die Bundesregierung mit 23 Sachverständigen Gespräche geführt und Stellungnahmen eingeholt. Zudem gab es Gespräche mit der britischen und der dänischen Regierung, einem dänischen Sachverständigen, der EU-Kommission und IOM.
Im November 2023 beauftragte die Ministerpräsidentenkonferenz die Bundesregierung mit der Prüfung der Frage, ob und wie Asylverfahren in Drittstaaten durchführbar seien.
Ergebnis ist ein Bericht des Bundesministeriums des Innern (BMI).
Deshalb hier einmal die derzeit diskutierten Modelle mit ihren Eigenheiten. Die Voraussetzungen, Probleme und Schwierigkeiten leiten wir dabei aus dem Sachstandsbericht ab, den die Bundesregierung zur Ministerpräsidentenkonferenz am 20.06. vorgelegt hat und der von Frag den Staat veröffentlicht wurde.
1. Ruanda-Modell (Extraterritorialisierung der Schutzgewährung)
Grundlage ist das Modell, dass auf den Abkommen von Großbritannien mit Ruanda abzielt. In der
Kurzfassung: Asylverfahren werden IN einem anderen Land DURCH ein anderes Land durchgeführt.
Menschen werde hier zB durch Großbritannien nach Ruanda gebracht, das dort selbständig Asylverfahren durchführt.
Quelle Grafik: BMI
Sachlage:
Hier wird offensichtlich mindestens von der CDU eine reale Chance zur Umsetzung gesehen, dabei allerdings Wesentliches übersehen oder ignoriert.
Wesentlich ist, dass zunächst für Betroffene geprüft werden muss, ob im jeweiligen Drittstaat, mit dem es ein Abkommen gibt, seine persönliche Situation sicher ist. Abgeleitet wird dies aus dem in Art. 33 der GFK verankerte Refoulementverbot, wonach eine Person nicht in einen Staat überstellt werden darf, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung bedroht ist. Dies umfasst auch das Verbot der „Kettenabschiebung“ aus dem Drittstaat heraus in einen anderen Staat, wenn diese weitere Abschiebung ihrerseits gegen das Refoulementverbot verstösst.
Bedeutet:
Bevor jemand aus Deutschland in diesen Drittstaat überstellt werden darf, muss ein Verfahren stattfinden, bei dem individuell geprüft wird, ob die Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
Gegen diese Entscheidung muss es zudem die Möglichkeit von Rechtsmitteln geben, während derer logischerweise Betroffene weiter in Deutschland bleiben können und müssen.
Erst mit Rechtskraft dieses Vorverfahrens dürfe eine Überstellung in den Drittstaat erfolgen.
Für die Durchführung des Asylverfahrens durch den Drittstaat müßte dieser die Genfer Flüchtlingskonvention umsetzen. Dies bedeutet im Ergebnis bei positivem Ausgang des Asylverfahrens nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels, sondern auch die Gewährung weiterer Rechte wie Zugang zum Arbeitsmarkt, zur Bildung oder zu medizinischer Versorgung.
Sowohl die aktuelle Asylverfahrensrichtlinie wie auch die im Rahmen der GEAS-Reform beschlossene zukünftige Asylverfahrens-Verordnung setzen zudem ein sog. Verbindungselement zu einem Drittstaat voraus. Dies bedeutet, dass es einen Bezug zu diesem Land geben muss, also familiäre Bindungen oder ein längerer Voraufenthalt, nicht jedoch beispielsweise eine kurze Durchreise o.ä.
Im Ergebnis bedeutet dies, dass in nahezu allen Fällen aufgrund eines fehlenden Verbindungselements zu einem Staat wie Ruanda eine Überstellung dorthin ohnehin rechtlich nicht möglich wäre.
2. Albanien-Modell (Extraterritorialisierung der Asylverfahren)
Hier ist Gegenstand der Überlegungen das Abkommen zwischen Italien und Albanien.
Kurzfassung: Asylverfahren werden IN einem anderen Land durch das EU-Land durchgeführt.
Beim namensgebenden Beispiel führt demnach also Italien weiterhin selbständig Asylverfahren durch, allerdings nicht in Italien, sondern eben in Albanien.
Quelle Grafik: BMI
Sachlage:
Voraussetzung wäre zunächst, dass auf Grundlage eines Abkommens ein Drittstaat gefunden wird, in dem Asylsuchende zur Durchführung des Asylverfahrens so untergebracht werden müssten, dass sie formal nicht in diesen Drittstaat einreisen. Im Ergebnis setzt dies die Einrichtung von haftähnlichen Lagern voraus.
Italien will das Modell mit Albanien nur auf die Menschen anwenden, die auf dem Mittelmeer in internationalen Gewässern aufgegriffen werden. Nur auf diese Weise ist das bereits erwähnte „Problem Verbindungselement“ auszuschließen.
Umgekehrt gab es im Fall von Deutschland bereits einen territorialen Kontakt mit der Folge, dass alle unionsrechtlichen wie auch nationalrechtlichen Regelungen Anwendung finden und Betroffene für das Asylverfahren dann ein Aufenthaltsrecht im Mitgliedsstaat, also Deutschland, haben.
Betreibt Deutschland in einem Drittstaat selbständig über eine Art BAMF-Außenstelle Asylverfahren, finden ohnehin alle unioinsrechtlichen wie nationalrechtlichen Bestimmungen Anwendung, ebenso wie völkerrechtliche Verträge und Bindungen wie insbesondere GFK, EMRK oder UN-Kinderschutzkonvention.
Auch die Unterbringungsstandards wie auch der Zugang zu anwaltlicher Vertretung und verpflichtender Beratung müssten in diesem Drittstaat dann vorgehalten werden.
Auch hier müßte ein Vorprüfverfahren vor einer Überstellung in den Drittstaat stattfinden, für das es Rechtsschutz geben muss. Im Ergebnis würde also in vielen Fällen nicht nur ein Asylverfahren, sondern auch ein Vorprüfverfahren stattfinden plus eventuell zwei Gerichtsverfahren dazu.
3. Hinweg-Modell (Abgeleitet vom Hinweg wie Rückweg)
Gedanklich gibt es hierbei noch keine Grundlage oder Muster.
Kurzfassung: Eine Asylantragstellung erfolgt beispielsweise in Afrika an bestimmten Stellen an üblichen Fluchtrouten in dort zu schaffenden Zentren als alternative Asylantrags-Option schon vor einer Flucht nach Europa oder Asylantragstellung in Botschaften
Quelle Grafik: BMI
Sachlage:
Geltendes Recht lässt eine Asylantragstellung in deutschen Auslandsvertretungen nicht zu. Deren Ermöglichung ist nach dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen auch umstritten.
Würden unabhängig von Botschaften auch Migrationszentren unter deutscher (Mit)Kontrolle eingerichtet, ergeben sich unmittelbare Rechtswirkungen für Deutschland.
Dies betrifft einerseits bei unmittelbarer Hoheitswirkung schon die Unterbringung, ansonsten aber in jedem Fall die rechtliche Ausgestaltung der Verfahren mit allen o.g. Voraussetzungen.
Fazit
Keines der Modelle ist auf Deutschland derzeit anwendbar.
Im Bericht heisst es dazu:
Mit Blick auf Deutschland ist erkennbar geworden, dass extraterritoriale Modelle wie das sogenannte britische Ruanda-Modell und das sogenannte Italien-Albanien-Modell unter den gegebenen rechtlichen und praktischen Rahmenbedingungen in dieser Form nicht übertragbar wären. Deutschland unterliege anderen rechtlichen Rahmenbedingungen als Großbritannien – national und unionsrechtlich. Anders als Italien sei Deutschland zudem kein Mittelmeeranrainer, weshalb eine schutzsuchende Person bereits das nationale Territorium erreicht habe und der vollständigen nationalen und europäischen Jurisdiktion unterläge.
Sachstandsbericht der Bundesregierung
Daneben äußerten offenbar eine klare Mehrheit der Sachverständigen deutliche Zweifel daran, ob mit einem solchen Modell – wenn eben überhaupt umsetzbar – auch ein entsprechender Effekt, der ja das eigentliche Ziel dieser Vorschläge ist, eintreten würde.
Es ändert zunächst jedoch nichts daran, dass keines der Modelle real umsetzbar wäre, weil die rechtlichen Bedingungen dies gar nicht zulassen.