Corona: Ausgesetzte Dublin-Überstellungen verlängern lt. BAMF Fristen. Wie vorgehen?



Lt. Auffassung des BAMF sind die durch den derzeitigen Verzicht auf Überstellungen die Fristen für die Übersetzung an sich gehemmt und verlängern sich um die Zeit der Aussetzung. Stimmt das? Wen betrifft es und was kann man tun?


Bekanntermaßen hat das BAMF Dublin-Überstellungen ja vorerst ausgesetzt, weil zum Großteil weder Reiseverbindungen aus Deutschland bestehen noch die anderen Länder überhaupt Menschen im Rahmen der Überstellung aufnehmen. Diese Entscheidung ist demnach einerseits sinnvoll und zu begrüßen, andererseits eher der Notlage geschuldet, denn der Überzeugung des BAMF

Im gleichen Zuge hat das BAMF den Verwaltungsgerichten mitgeteilt, dass diese Zeit der Nicht-Überstellung bei den Fristen, die bei Ablauf zu einem Selbsteintritt führen, nicht angerechnet würde, sondern die Fristen unterbrochen wären. 

Dies ist offenkundig so nicht richtig. Vielmehr kommt es schon auf die konkrete Fallkonstellation an. Konkret betroffen sind vom Vorgehen des BAMF ohnehin nur Fälle, bei denen das Klageverfahren gegen den Dublin-Bescheid anhängig ist. 

Pro Asyl hat zusammen mit den RechtsanwältInnen von Equal rights beyond borders eine rechtliche Stellungnahme mit konkrete Fallgruppen erarbeitet und entsprechende Handlungsempfehlungen gegeben. Die komplette Stellungnahme ist hier zu finden.

Vorab deshalb eine essentielle Einschätzung, in welche Fällen überhaupt die vom BAMF erwünschte Aussetzung und Fristverlängerung zum Tragen kommen kann (Hinweis: Schon diese Wirkung wird im Gutachten bestritten):

Rechtswirkungen entfalten könnte die behördliche Vollziehungsaussetzung damit allein, wenn

1. die Rechtsmittelfrist für den Dublin-Bescheid – insbesondere die Frist, den Eilantrag einzulegen – noch läuft oder
2. nur eine Klage, aber kein Eilantrag, gegen den Dublin-Bescheid eingelegt wurde oder
3. der Eilantrag vom Verwaltungsgericht abgelehnt wurde und die Klage noch anhängig ist.


Wir haben den Text des gesamten Gutachtens auf die für die Praxis wichtigen Passagen gekürzt. Das vollständige Gutachten steht am Ende zum download.

Quelle: ProAsyl/Equal rights beyond borders

Zusammenfassung/Wesentliche Aussagen des Gutachtens

I. Keine Rechtswirkung ohne anhängiges Klageverfahren

Zunächst ist festzustellen, dass das BAMF nicht rechtswirksam die Überstellung aussetzen und dadurch die Überstellungfrist in Fällen unterbrechen kann, in denen gegen den Dublin-Bescheid (konkret: die Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG) kein Rechtsmittel eingelegt wurde.

Auch wenn das BAMF den Hinweis ebenso an Personen im Dublin-Verfahren schickt, die nicht geklagt haben: Die aktuelle Vollziehungsaussetzung betrifft diese Fälle nicht. Die Überstellungsfrist endet regulär sechs Monate nach Annahme des Auf- oder Wiederaufnahmegesuches durch den anderen Mitgliedsstaat. Eine möglicherweise gegenteilige Auffassung des BAMF wäre juristisch kaum zu halten, wie folgend begründet wird.

Praxishinweis:

Nach Ablauf der jeweiligen – regulären und nicht wirksam ausgesetzten – Überstellungsfrist, sollte das BAMF aufgefordert werden, das Asylverfahren zu übernehmen, wie es nach Fristablauf durch die Dublin-III-Verordnung vorgesehen ist (Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Die Einleitung rechtlicher Schritte kann bereits angedroht werden. Sollte das BAMF sich weigern oder nicht reagieren, so ist in entsprechenden Fällen nach Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist ein Eilantrag beim zuständigen Verwaltungsgericht nach § 123 VwGO einzureichen, um das BAMF zur Bescheidaufhebung zu verpflichten sowie zur Aufnahme des Asylverfahrens und weiter dazu zu verpflichten, bis zur Aufhebung keine Überstellung durchzuführen. B zw. Durch die Ausländerbehörde durchführen zu lassen.

II. Keine Rechtswirkung bei stattgebendem oder anhängigem Eilverfahren

Wurden Klage und Eilantrag gegen den Dublin-Bescheid eingelegt und wurde dem Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattgegeben, so entfaltet die vom BAMF angestrebte Vollziehungsaussetzung ebenfalls keine Rechtswirkung. Denn die Vollziehung ist bereits ausgesetzt. Für Betroffene ergeben sich keine Änderungen.

Ist der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO noch anhängig, ergibt sich aus der behördlichen Vollziehungsaussetzung auch keine zusätzliche Rechtswirkung für die Überstellungsfrist. Denn diese wird ohnehin unterbrochen während der Eilantrag anhängig ist und beginnt erst bei ablehnender Entscheidung über den Eilantrag oder die Klage erneut zu laufen (dann: möglicherweise Rechtswirkung der Vollzugsaussetzung, siehe III.).

Praxishinweis:

Trotz behördlicher Aussetzung dürfte das Rechtsschutzbedürfnis an einer stattgebenden Eilentscheidung, also einer gerichtlichen Aussetzung nach § 80 Abs. 5 VwGO (quasi zusätzlich zur behördlich angeordneten) nicht entfallen. Denn diese gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung entfaltet bis zur Entscheidung über die Klage Wirkung und nicht nur (unabsehbar) temporär, bis Überstellungen wieder aufgenommen würden, wie die BAMF-Entscheidung. Lehnt das Gericht den Eilantrag dennoch formaljuristisch mangels Rechtsschutzbedürfnisses ab, wäre nach Ende der behördlichen Überstellungs-Aussetzung ein Änderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen, so dass das Gericht dann über die Gewährung des Eilrechtsschutzes zu entscheiden hätte.

III. Fälle mit möglicher Rechtswirkung

Rechtswirkungen entfalten könnte die behördliche Vollziehungsaussetzung damit allein, wenn

1. die Rechtsmittelfrist für den Dublin-Bescheid – insbesondere die Frist, den Eilantrag einzulegen – noch läuft oder

2. nur eine Klage, aber kein Eilantrag, gegen den Dublin-Bescheid eingelegt wurde oder

3. der Eilantrag vom Verwaltungsgericht abgelehnt wurde und die Klage noch anhängig ist.


IV. Handlungsempfehlungen

Kein anhängiges Klageverfahren:

Sobald die Überstellungsfrist abgelaufen ist, sollte beim BAMF ein Antrag auf Aufhebung des Dublin-Bescheids und Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland gestellt werden. Zur Sicherung des Anspruchs kann beim Gericht ein Antrag nach § 123 VwGO gestellt werden.

Stattgebender Eilbeschluss und anhängiges Klageverfahren:

Die Überstellungsfrist läuft ohnehin nicht, da das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. Durch die Rücknahme der Klage würde zwar die Frist zu laufen beginnen. Eine Klagerücknahme ist aber nur sinnvoll, wenn trotz stattgebendem Eilrechtsbeschluss geringe Erfolgsaussichten im Klageverfahren bestehen, dies muss rechtlich unbedingt geprüft werden.

Anhängiger Eilantrag und anhängiges Klageverfahren:

Die Überstellungsfrist läuft nicht, da der Eilantrag aufschiebende Wirkung hat. An dem Eilantrag kann trotz behördlicher Aussetzung festgehalten werden. Es sollte jedoch geprüft werden, ob Eilantrag und Klage überhaupt Erfolgsaussichten haben. Nur wenn dies nach ausreichender rechtlicher Prüfung nicht der Fall ist, sollte eine Rücknahme erwogen werden, um die Überstellungsfrist in Gang zu setzen.

Kein Eilantrag gestellt aber anhängiges Klageverfahren: 

Nach Auffassung des BAMF wurde die Überstellungsfrist durch die behördliche Vollziehungsaussetzung unterbrochen. Diese Rechtsaufassung kann angegriffen werden, indem nach sechs Monaten (ab Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedsstaat) ein Eilantrag nach § 123 VwGO mit der Begründung gestellt wird, dass die Aussetzung rechtswidrig war und die Überstellungsfrist daher nicht unterbrochen wurde. Zusätzlich kann es – zwingend abhängig von den Erfolgsaussichten der Klage – sinnvoll sein, schon jetzt die Klage zurückzunehmen, damit im Fall, dass das Gericht der Rechtsauffassung des BAMF folgt, zumindest die Frist ab Klagerücknahme neu zu laufen beginnt. Nach sechs Monaten (ab Klagerücknahme) kann dann erneut ein Eilantrag nach § 123 VwGO zur Aufnahme des Asylverfahrens gestellt werden. Vor einer Klagerücknahme sollte jedoch ausreichend rechtlich geprüft werden, ob die Klage nicht Aussicht auf Erfolg hat.

Eilantrag abgelehnt und anhängiges Klageverfahren: 


Wie unter 4. mit der Abweichung, dass keine Anträge nach § 123 VwGO, sondern Anträge nach § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen sind.

Für die Entscheidung ob eine Klagerücknahme oder eine Rücknahme noch anhängiger Eilanträge im Einzelfall sinnvoll ist, sollte in jedem Fall anwaltlicher Rat eingeholt werden. Es besteht stets im Fall der Klagerücknahme das Risiko, dass Überstellungen auch vor Ablauf der sechs-Monatsfrist wieder durchgeführt werden!

V. Ausnahme: Dublin-Familienzusammenführungen

Im Ergebnis anders zu beurteilen sind Fälle, in denen die Dublin-Überstellung der Herstellung der Familieneinheit in einem anderen Dublin-Mitgliedsstaat dient, also auf den Art. 8-11 (Zuständigkeitskriterien bei Minderjährigen und Familienangehörigen), Art. 16 (Familienzusammen- führungen bei abhängigen Erwachsenen), Art. 17 Abs. 2 (Ermessensklausel) Dublin-III-VO beruht. Die Mehrzahl dieser familieneinheitsbezogenen Zuständigkeitsvorschriften erfordern ohnehin die Zustimmung der Antragstellenden (außer Art. 8 bei unbegleiteten Minderjährigen), so dass auch kein Rechtsbehelf gegen den Dublin-Bescheid anhängig sein dürfte, insofern die Überstellung ja dem Wunsch der Antragstellenden entspricht.

Quelle

Pro Asyl / Equal rights beyond borders

Text aus dem Gutachten übernommen, aber auf die wesentlichen Aussagen für die Praxis von uns gekürzt.

Das komplette Gutachten kann man hier downloaden:


2 Gedanken zu „Corona: Ausgesetzte Dublin-Überstellungen verlängern lt. BAMF Fristen. Wie vorgehen?“

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