Stellungnahme zum Familiennachzugsneuregelungsgesetz

 

Wir haben einige vor allem praktische Überlegungen zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung angestellt. Die Stellungnahme liegt auch den Mitgliedern des Innenausschusses vor. 

 

Stellungnahme zum Familiennachzugsneuregelungsgesetz

Einleitung

Wir sind nicht zu einer offiziellen Stellungnahme zum Familiennachzugs-neuregelungsgesetz gebeten worden. Da wir dieses Gesetz bezogen auf seine Ausgestaltung, die Umsetzung des Nachzuges wie auch auf die gesellschaftliche Bedeutung für sehr wichtig und bedeutsam erachten, wollen wir dennoch unsere Gedanken hierzu zusammenfassen.

Unsere Überlegungen kommen mehr aus der Praxis des allgemeinen Familiennachzugs zu anerkannten Geflüchteten mit all seinen Facetten, der inzwischen umfangreichen Anwendung und Befassung mit Aufenthaltsrecht und vielen Überlegungen zur praktischen Umsetzung. 

Unsere Anregungen sind insofern nicht die eines Juristen mit detaillierten Änderungen oder Kommentierungen zu einzelnen Verästelungen des AufenthG, sondern beschäftigen sich mit den Inhalten und Folgen und sind dabei hoffentlich verständlich.

Grundsätzlicher Ansatz

Auf die völkerrechtlichen, grundgesetzlichen und menschenrechtlichen Bedenken und Kritikpunkte möchten wir an dieser Stelle nicht eingehen. Hierfür gibt es bereits von Personen und Verbänden, die dies besser tun können als wir, umfangreiche Analysen und Stellungnahmen. 

Unser gedanklicher Ansatz beschäftigt sich vor allem mit der praktischen Umsetzung, der Bewertbarkeit von getroffenen Auswahlentscheidungen, deren gerichtlicher Überprüfbarkeit und den Verfahrensabläufen. 

Grundsätzliche Situation subsidiär geschützter Flüchtlinge

 

Wir beziehen uns auf einen Punkt, der aus den tatsächlichen Umständen resultiert und den Hintergrund der Situation subsidiär Geschützter beleuchtet:

Ein wesentliches Argument, den Nachzug zu begrenzen, ist, dass der sog. subsidiäre Schutz nur ein Schutz auf Zeit sei. Er würde nur für ein Jahr gewährt, und Menschen mit 

diesem Status müssten ohnehin schnell in ihre Heimat zurückkehren. Deshalb sei das Nachholen der Familie nicht nur nicht erforderlich, sondern würde zudem sogar eine unnötige Integration im Fluchtland erfordern, obwohl dies im Heimatland viel notwendiger wäre.

Bei der Mehrzahl der Menschen, die die Nachzugsproblematik betrifft, handelt es sich um Menschen aus den Hauptfluchtländern, also Syrien, Afghanistan, Irak und Iran. Menschen mit subsidiären Schutz haben in den allermeisten Fällen inzwischen eine Verlängerun ihrer Aufenthaltserlaubnis um weitere zwei Jahre erhalten, oder werden erhalten diese in den nächsten Monaten. Wieder auf zwölf, noch auf 36 Monate ist ein Widerruf von Schutzgründen, die für diese Länder gelten, zu erwarten oder abzusehen. 

Menschen mit subsidiärem Schutz werden deshalb de facto auf eine im Augenblick unabsehbare Zeit in Deutschland verbleiben, weil eine Rückkehr in die Fluchtländer gar nicht möglich ist. Damit ist die Annahme einer schnellen Rückkehr absurd.

Vor diesem Hintergrund sind Menschen mit subsidiären Schutz nicht de jure, aber de facto mit anerkannten Flüchtlingen gleichgestellt.

Deutschland verhindert mit der nun angedachten Regelung demnach nicht nur einen Schutz der Kernfamilie im Heimatland, sondern boykottiert damit einen wesentlichen Teil der Integration.

Diese Umstände finden jedoch im aktuellen Gesetzestext keinerlei Niederschlag. Aus diesen Gründen ist jedoch bereits die Grundannahme und die den gesetzestextbegründende Prämisse per se falsch.

 

Zahlen und Hintergründe 

Offiziell unklar rund im Verborgenen bleibt unverändert die Zahl derjenigen Menschen, die möglicherweise einen Anspruch auf einen Familiennachzug mit subsidiärem Schutz haben oder hätten. Die Bundesregierung könnte dies aufklären, will es aber aus für uns unerfindlichen Gründen nicht. 

Es gibt jedoch mind. zwei Ermittlungen, die erhebliche Zweifel an der Behauptung, dass „Hunderttausende“ ins Land strömten, eröffnen.

  1. IAB

Die vielfach erwähnte, aber nie als offizielle Grundlage herangezogene Studie des IAB geht von rd. 60.000 Menschen aus, die über den Familiennachzug aufgrund von subsidiärem Schutz nach Deutschland kommen könnten.

Ermittelt wurden diese Daten aus den tatsächlichen Zahlen des Familiennachzuges für anerkannte Geflüchtete. Da die Gruppe der anerkannten Flüchtlinge soziokulturell mit der der subsidiär Geschützen identisch ist, kann man diese Zahlen auch problemlos vergleichen.

2. Ermittlungen aus schriftlicher Frage

Basis ist die schriftliche Frage 306 von MdB Ulla Jelpke (Die Linke) zu erteilten Visa beantwortet 09.01.2018 durch BMI StS Dr. Emily Haber (SF 306 und Ermittlungen von Dr. Thomas Hohlfeldt, Ref. Migration und Integration Fraktion Die Linke). 

Hiernach ergeben sich die folgenden Zahlen:

Von 2014 bis Ende 2017 (Stichtag 30.11.2017 für Entscheidungen durch das BAMF, Stichtag 31.10.2017 für Entscheidungen der Gerichte) erhielten insgesamt 345.614 syrische Flüchtlinge einen Schutzstatus, der zum Familiennachzug berechtigt. Zugleich wurden in diesem Zeitraum (bis inkl. 3. Quartal 2017) 103.632 Visa an syrische Angehörige für den Familiennachzug erteilt bzw. stehen noch 46.475 in Aussicht (Terminanfragen), das macht insgesamt etwa 150.107 Visa für syrische Personen, die einen Nachzug beanspruchen oder bereits realisiert haben.

150.107 Nachzüge auf 345.614 Anerkannte mit Nachzugsansprüchen ergeben bei syrischen Flüchtlingen einen Nachzugsfaktor von 0,43. Bei irakischen Flüchtlingen liegt der Faktor bei gleicher Datenlage bei 0,3, bei afghanischen Geflüchteten sogar nur bei 0,15. 

Dabei ist die Zahl der erteilten Visa vermutlich eher zu hoch angesetzt, denn erfasst wurde der Nachzug zu bestimmten Staatsangehörigen, nicht aber explizit zu Menschen mit Anerkennung als Geflüchteter. Deshalb können in überschaubarem Umfang auch Visa für Nachzüge aus anderen Gründen oder auch mit regulärem Nachzug  enthalten sein. 

Wendet man nun diesen Faktor (unkorrigiert) auf syrische Geflüchtete mit subsidiöärem Schutz im gleichen Zeitraum (April 2016 ab Aussetzung des Nachtzuges  bis November 2017) an, ergeben sich bei 174.777 Menschen rd. 75.000 potentielle Visa für den Nachzug. 

In Ergänzung sei mitgeteilt, das das IAB nach mündlichen Aussagen nach weiterer Evaluation die Daten bestätigt sieht, aber eine regelmäßig fallende Tendenz erkennt. 

Zusammengefasst aus beiden Quellen ergeben sich demnach die im Raume stehenden rd. 60.000 Menschen, für die eine Lösung gefunden werden muss. alle anderen Zahlenspielereien in die Hunderttausende gehend sind einfach nur abenteuerlich. 

 

Zahlen aus der Gesetzesbegründung

In der Gesetzesbegründung wird sinngemäß unterstellt, dass es keine ausreichende und vernünftige Datenbasis gäbe, um zu ermitteln, wie viele Menschen einen vereinfachten Nachzugsanspruch hätten, würde die bis nunmehr 31.7.2018 ausgesetzte alte Nachzugsregelung wieder aufleben.

Benannt werden ausschließlich 26.000 bereitgestellte Visaanträge.

Auf die Daten des IAB sind wir bereits eingegangen. Diese Studie weist als einzige bisher bekannte reale Daten aufgrund der Analyse tatsächlich Familiennachzuges zu anerkannten Geflüchteten aus. Sie ist damit die beste Grundlage, um den tatsächlichen Zahlen nahe zu kommen. In der öffentlichen Diskussion aber auch in der Gesetzesbegründung finden diese Zahlen jedoch keinen Niederschlag.

Auch die aus der schriftlichen Frage der MdB Ulla Jelpke resultierenden relativ genauen, und die Annahme des IAB bestätigenden Daten, wird nicht eingegangen.

Dies ist umso bedauerlicher, weil in der Praxis ja eine reale Datenermittlung möglich gewesen wäre. Hierzu können zwei Analysensätze herangezogen werden:

1. Es ist bekannt, in wie vielen Fällen Visa für den Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen aus den jeweils wichtigsten Ländern ausgestellt wurden. Hieraus hätte man ohne Probleme einer Hochrechnung in Analogie der Zahlen für subsidiär Geschützte vornehmen können. Da die soziokulturelle Zusammensetzung beider Gruppen gleich sein dürfte, hätte dies eine verlässliche Zahl erbracht.

2. Jeder anerkannte Geflüchtete hat sich zur Anmeldung seines Familiennachzuges über das bundesweite Internetportal angemeldet. Es ist zu vermuten, dass dies zu nahezu 100 % passiert ist. Ebenso ist zu vermuten, dass die hierin angegebenen Daten eine erhebliche Verlässlichkeit bieten.

Warum die hier erfassten und analysiertbaren Daten nicht zur Berechnung des potentiellen Nachzug zu subsidiär Geschützten genutzt werden, bleibt ein komplettes Rätsel. Diese Daten wurden an realen Fällen erfasst und könnten ausgewertet werden. 

Somit gäbe es eine sehr verlässliche Zahl, die auch in jeder Hinsicht bei der Diskussion des Familiennachzug zu subsidiär Geschützten geholfen hätte.

Wenn diese Analyse entweder nicht durchgeführt oder nicht veröffentlicht wird, dann muss man entweder politisches Kalkül oder Unwillen aus diesem Grund unterstellen. Möglich wäre es jedenfalls. 

 

 

Auswahlverfahren

im Gesetz sind nicht abschließend einige humanitäre Gründe genannt, die dazu führen könnten, dass ein subsidiär Geschützter bzw. seiner Kernfamilie ein Visum zum Nachzug erteilt bekommen können. Gesetzlich festgeschrieben ist hingegen die Zahl von  1.000 Visa pro Monat, aber weder Gründe noch Verfahren, welche Menschen unter dieser 1.000 fallen könnten. 

Die im Gesetz aufgeführten, nicht abschließenden, humanitären Gründe im neuen § 36a liegen dann vor, wenn:
 

1. die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft seit langer Zeit nicht möglich ist,

2. ein minderjähriges lediges Kind betroffen ist,

3. Leib, Leben oder Freiheit des Ehegatten, des minderjährigen ledigen Kindes oder der Eltern eines minderjährigen Ausländers im Aufenthaltsstaat ernsthaft gefährdet sind oder

4. der Ausländer, der Ehegatte oder das minderjährige ledige Kind oder ein Elternteil eines minderjährigen Ausländers schwerwiegend erkrankt oder pflegebedürftig im Sinne schwerer Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten ist oder eine schwere Behinderung hat. 

Die Erkrankung, die Pflegebedürftigkeit oder die Behinderung sind durch eine qualifizierte Bescheinigung glaubhaft zu machen, es sei denn, beim Familienangehörigen im Ausland liegen anderweitige Anhaltspunkte für das Vorliegen der Erkrankung, der Pflegebedürftigkeit oder der Behinderung vor.

Kindeswohl soll besondere Berücksichtigung finden. 

Positiv ergänzt werden sollen diese Gründe um besonders gute Integrationsleistungen wie Sprachkenntnisse, Lebensunterhaltssicherung oder Wohnraum. Umgekehrt sollen Straftaten o. ä. zu Maluspunkten führen.

Im Augenblick ist völlig unklar, in welches Verhältnis humanitäre Gründe einerseits untereinander und andererseits zu positiven wie negativen Integrationsleistungen gesetzt werden sollen. Wie wird hier das eine oder das andere bewertet und wie wird dies zueinander in Beziehung gesetzt? 

Die Abwägung von humanitären Gründen untereinander bleibt im Unklaren, die Beziehung  zu bzw. die Beeinflussung durch Integrationsaspekte ist nicht näher definiert.

Hat man dies aber nun einmal getan, muss nun darüber hinaus eine Einbettung dieses konkreten Visum-Antrages zwischen Platz eins und Platz XX vorgenommen werden. Auch hier ist völlig unklar, nach welchen Kriterien dies erfolgen soll. 

Ist nun demnach die erst seit einem Jahr getrennte Familie mit minderjährigem Kind im Fluchtland im Sinne dieses Gesetzes besser gestellt als eine seit zwei Jahren getrennte Familie, bei der der Stammberechtigte arbeitet und eine Wohnung hat?

Bekommt der voll den Lebensunterhalt sichernde Stammberechtigte ohne Kind, aber mit langer Trennung den Vorzug vor dem gerade alphabetisierten SGBII-beziehenden kleinkriminellen Stammberechtigten, dessen Kind dauerhaft pflegebedürftig ist?

Sicher sind diese Gegenüberstellungen hier etwas holzschnitthaft, aber zeigen dennoch das Kernproblem der vorgesehenen gesetzlichen Regelung. 

 

 

Gerichtliche Überprüfung

Ebenso ist bei diesem gesamten Verfahren unklar, wie eine gerichtliche Überprüfung der Bewertungsgründe einerseits und der Einsortierung in ein „Ranking“ andererseits erfolgen soll.

Ein Gericht müßte ja nicht nur die vorgetragenen humanitären Gründe des konkreten Einzelfalles überprüfen können, sondern dazu auch noch die Frage klären, warum nun z.B. dieser konkrete Fall auf Platz 1.800 gelandet ist, aber nicht auf Platz 900. 

Die sich schon aus der Abwicklung an sich ergebende Frage wäre daneben, ob der Fall 1.800 in Monat 1 damit automatisch schon der Platz 800 im nächsten Monat ist. Oder muss der jeweils Betroffene Monat für Monat damit rechnen, dass es im Beispiel noch mehr als 200 weitere vorrangige Fälle gibt, die dann zu einer monatlichen Vertröstung und möglicherweise zu jahrelangem Warten führen würden?

Weil dies so unklar und nicht nachprüfbar ist, droht die nächste Klagewelle vor den Verwaltungsgerichten. Es ist nicht nur abzusehen, sondern auch erwartbar und letzten Endes nötig, dass jemand mit einer schlechten, zu schlechten, falschen oder auch nur falsch einsortierten Bewertung eine gerichtliche Überprüfung verlangt.

Vor dem Hintergrund, dass der sog. BAMF-Skandal bundesweit große Kreise zieht und man aufgrund der anerkannt schlechten Bescheidqualität mit hunderttausenden von Verwaltungsgerichtsverfahren zu kämpfen hat, ist es umso erstaunlicher, dass mit diesem Verfahren ein weiterer sprunghafter Anstieg von Verwaltungsgerichtsverfahren nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern sogar aktiv produziert wird.

Um es kurz zu machen: Bliebe man bei der vereinbarten Obergrenze von 1000 Visa pro Monat ,müsste man alleine aus Gründen der Rechtssicherheit für alle Seiten ein Bewertungsverfahren entwickeln, dass 1. den Namen verdient und 2. eine im wesentlichen objektive Überprüfbarkeit der Auswahl- und Entscheidungsgründe ermöglicht.

 

Praktische Durchführung

Ein massives Problem wird die tatsächliche praktische Umsetzung dieses Gesetzes. Dies resultiert vor allem aus zwei Umständen:

 

A) Bundesverwaltungsamt und Antrags-Verfahren

Mit dem Bundesverwaltungsamt wurde eine neue Verwaltungsebene mit der tatsächlichen Beurteilung und auch Bewertung des jeweiligen Einzelfalles betraut. Das Bundesverwaltungsamt soll die von der Auslandsvertretung bzw. der Ausländerbehörde zusammengestellten Informationen bewerten und danach entscheiden, ob ob es sich

A) um einen Härtefall handelt
B( Welche Integrationsleistungen positiv wie negativ einfließen und
C) auf welchem „Ranglistenplatz“ dieser Fall dann eingewertet werden soll.

Das Bundesverwaltungsamt hat bekanntermaßen weder Expertise im Ausländer- und Aufenthaltsrecht, noch entsprechend kundige und geschulte Mitarbeiter und wird zudem noch völlig unvorbereitet von dieser Entscheidung getroffen.

Zudem werden erhebliche Teile der Informationen, die für eine halbwegs vernünftige Beurteilung, ob es sich um einen Härtefall handelt und wie dieser dann gegenüber einem anderen Härtefall eingeordnet werden soll, am Ende gar nicht vorliegen:

Positive Umstände, die sich auch positiv auf das Verfahren auswirken sollen, werden schlicht nicht ermittelt. Es bleibt unbekannt, ob jemand besonders gute Deutschkenntnisse hat, über eine Wohnung verfügt oder entsprechendes Einkommen erzielt.

Damit fehlen wichtige Grundlagen für das nach dem Gesetz vorgesehenen Verfahren, das positive wie negative Umstände berücksichtigen soll.

B) Ablauf des Verwaltungsverfahrens

Das im Gesetz dargestellte und entwickelte Verfahren, nach dem die Beantragung, Auswahl und Entscheidung zur Vergabe eines Visums erfolgen sollen, ist komplett unausgegoren.

Nach dem derzeitigen Stand, den man sich allerdings aus dem Gesetzestext mehr oder minder zusammenbasteln muss, ist folgendes geplant:

1. In der jeweiligen Auslandsvertretung stellt zum Beispiel die Eherau und ein minderjähriges Kind eines hier subsidiär Geschützten einen Antrag auf Ausstellung eines Visums zum Familiennachzug. Das Kind ist pflegebeürftig, die Frau gibt an, verfolgt zu werden und täglich Kriegshandlungen zu erleben.

Als Erstes müßte die Pflegebedürftigkeit im Sinne dieses Gesetzes durch ärztliche und übersetzte Atteste belegt werden.

Zur Frage der Verfolgung etc. müßte nun die Auslandsvertretung ähnlich wie bei einem Asylverfahren eine Anhörung, Darlegung und Bewertung der vorgetragenen Umstände vornehmen. Dies alleine kann weder Aufgabe der Auslandsvertretung noch vom Gesetzgeber so gewollt sein. Von den grundsätzlichen Umständen eines solchen Verfahrens ganz zu schweigen.

2. Nach dieser Antragstellung landet der Antrag als solches beim Bundesverwaltungsamt. Dieses wiederum bezieht die jeweils zuständige Ausländerbehörde des hier lebenden Stammberechtigten ein.

Nun ermittelt die Ausländerbehörde aufgrund der ihr vorliegenden Daten welche ausländerrechtlichen, gegebenenfalls auch strafrechtlichen, Grundlagen und Umstände beim jeweiligen Stammberechtigten vorliegen. Gleichzeitig wird sie aufgrund der bekannten Lebensumstände, also beispielsweise schon in Deutschland lebende minderjährige Kinder oder Angehörige, eine Dringlichkeit ohne weitere Wertung bescheinigen.

Was beispielsweise weder vorliegt noch ermittelt wird, sind die oben genannten Daten positiven Integration. Einer Ausländerbehörde ist es weder bekannt noch ermittelt sie Daten und Informationen über eine eigene Wohnung oder über bestimmte Sprachkenntnisse. Ebenso ermittelt sie normalerweise nicht, ob jemand seinen Lebensunterhalt und wenn ja, in welchem Umfang, selbst erwirtschaftet. Finden solche Prüfungen im Rahmen anderer Aufenthaltserlaubnisse teilweise statt, wird in gar keiner Weise die weitere besondere Bemühung um Integration, festgemacht an den dort aufgeführten Feldern a) besondere Fortschritte beim Erlernen der deutschen Sprache, b) gesellschaftliches Engagement, c) ehrenamtliche Tätigkeit oder d) das nachhaltige Bemühen um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ermittelt, geprüft und bewertet. 

Damit werden wesentliche Umstände, die zur Beurteilung des Visumantrages notwendig sind, entweder nicht ermittelt oder liegen gar nicht vor.

Aufgrund dieser Umstände ist völlig unklar, wie das Bundesverwaltungsamt die von ihm geforderte Bewertung, Einwertung und Entscheidung sowohl inhaltlich wie auch im zweiten Schritt bezogen auf ein Ranking treffen soll. 

Im Bundesverwaltungsamt gibt es weder personelle Ressourcen hierfür noch entsprechende Verwaltungsabläufe. Wir betreten komplettes Neuland. Bei diesem Neuland sind jedoch nicht nur die Verfahren und Kriterien neu und unklar, sondern es wird auch eine Behörde mit dem Bundesverwaltungsamt eingeschaltet, die quasi als neuer Player eintritt.

Es sei daran erinnert, dass das Bundesverwaltungsamt bisher mit ausländerrechtlichen Fragen und Themen des Aufenthalts oder Asylrechts nichts zu tun hat. Damit fehlen nicht nur die angesprochenen personellen Ressourcen und die Verwaltungsabläufe, sondern auch die Kernkompetenzen, die notwendig wären, um ein solches Verfahren dann auch betreiben und umsetzen zu können.

Aus diesen Umständen heraus und auch aufgrund des Verfahrensweges an sich ist aus unserer Einschätzung nicht damit zu rechnen, dass im Jahr 2018 überhaupt nennenswerte Zahlen zur Visaerteilung zum Familiennachzug zu subsidiär Geschützten zustande kommen werden. 

Die Übertragbarkeit der Kontingente ab August von 1.000 Visa auf die jeweils folgenden Monate bzw. für diese fünf Monate im Jahr 2018 auf das Jahr 2019 erscheint deshalb nicht nur zwingend notwendig, sondern so generell nicht ausreichend, weil nicht zu erwarten ist, dass im Jahr 2018 ein wirklich brauchbares Verfahren auf Basis des bisherigen Gesetzes entwickelt werden würde, das dann ja in einem zweiten Schritt auch noch die zeitliche Komponente der Visum Beantragung und Bewilligung zu berücksichtigen hat.

Uns allen ist bekannt, dass die Terminvergabe bei den Auslandsvertretungen der infrage kommenden Botschaften immer noch zum Teil erhebliche Zeiträume in Anspruch nimmt. Alleine die Vorsprache dort von Antragstellern zur Abgabe ihres Antrags auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug sind und bleiben deshalb nicht unbeachtlich. Hinzu kommen u.U. noch Rückfragen, weitere asylverfahrensähnliche Befragungen zu Flucht- oder Verfolgungsgründen, zusätzliche Untersuchungen und Atteste, deren Übersetzung etc. 

Sind die Wartezeiten alleine für den Termin zur Beantragung schon in Monaten zu bemessen, wird es die Bearbeitungsdauer an sich an vier unterschiedlichen Stellen ebenfalls sein. Herauskommen werden dabei Verfahrensdauern für diese Visum-Beantragung, die sechs Monate für das Gesamtverfahren als absolutes Minimum  erscheinen lassen und nur haltbar wären, wenn der Fall Ansicht völlig einfach und klar ist.

Damit sind auch die Regelungen zur Frage, ob nicht vergebene Kontingente eines Monats auf die folgenden übertragen werden können, zwingend notwendig. Schafft es das Verfahren an sich oder die damit befassten Behörden und Verwaltungsteile es nicht, ein brauchbares Verfahren zu entwickeln oder führt ein Verfahren ein, dass aus sich selbst bereits Unsicherheiten und lange Verfahrensabläufe konstruiert, kann und darf dies nicht noch weiter zu Lasten der betroffenen Menschen und Familien gehen. 

Daraus folgt, dass es eine durchgängige Übertragbarkeit nicht vergebener Visa geben muss, zumindest dann, wenn die Anzahl der Anträge über monatlich 1.000 liegt und man diese Grenze beibehält. 

Weiterhin muss bei unbegleiteten Minderjährigen aus mehreren Erwägungen heraus der Stichtag die Antragstellung sein, und dies völlig losgelöst von einer etwaigen im Verfahren eintretenden Volljährigkeit. Dazu gleich mehr. 

 

Differenzierung zu § 22

§ 22 AufenthG sieht eine bisher nur spärlich genutzte Härtefallregelung vor, die neben dem neuen § 36 a AufenthG E bestehen bleiben soll. 

Wichtig ist eine klare Abgrenzung zwischen den Verfahren. Ansonsten steht zu erwarten, dass subisidär Geschützte bzw, ihre Familien im Verfahren auf den § 36 a verwiesen werden, statt auch ein Verfahren nach § 22 durchzuführen.

Beide Verfahren müssen parallel nutzbar sein. Deshalb darf § 36a den § 22 im Falle eines subsidiär Geschützten nicht sozusagen „auffressen“.

 

Regelungen zu Geschwisternachzug

Schon jetzt besteht ein sehr großes Problem in der zwar vielleicht rechtlich richtigen Auslegung des AufenthG beim Nachzug weiterer minderjähriger Geschwister zu einem unbegleiteten Minderjährigen, aber neben einer grundsätzlichen Lösung muss es diese Lösung auch hier schon geben:

Hat ein unbegleiteter Minderjähriger mit subsidiärem Schutz weitere minderjährige Geschwister, muss über deren Visum und Aufenthaltserlaubnis auch in diesem Verfahren nach § 36a mit entschieden werden. Die bisher notwendige Praxis, die Eltern ganz oder teilweise vor die Wal zu stellen, die Kinder zurückzulassen oder sich zu trennen, ist unverantwortlich.

Bei der bisherigen Praxis muss dann ein Elternteil nachziehen und eines vor Ort verbleiben. Aus einem eigenen Asylantrag oder Familienasyl kann dann eigenes Recht begründet werden. Dieses wäre zwar im Falle des subisidären Schutzes nur eines auf Grundlage eines Härtefalles, aber der dürfte auch eindeutig gegeben sein, wenn ansonsten minderjährige Kinder alleine im Herkunftsland verbleiben müßten. 

Demnach muss es eine Regelung geben, dass für minderjährige Geschwister das Visumverfahren gleich mit durchgeführt wird. Anderenfalls besteht sogar die Gefahr, dass beide Eltern bewußt zusammen nachziehen und die anderen Kinder irgendwie betreut vor Ort lassen,, damit sich die Chancen in einem Härtefallverfahren nach eigenem Asylverfahren verbessern. Kindeswohlgefährdende Umstände würden damit och deutlich erhöht werden. 

 

Volljährigkeit UMF (EuGH-Urteil)

Der EuGH hat gerade erst entschieden, dass der Familiennachzugsanspruch bei einem als Flüchtling anerkannten Minderjährigen nicht mit Volljährigkeit erlischt, sondern am darum des Asylantrages festzumachen ist. Die Verfahrensdauer bis zu einem positiven Bescheid darf nicht zu Lasten des Betroffenen ausgelegt werden, weil damit auch eine Steuerungsmöglichkeit bestünde, durch bewußt verlängerte Verwaltungsverfahren den Nachzugsanspruch bewußt ins Leere laufen zu lassen.

Eine Umsetzung des Urteils in Deutschland für anerkannte Geflüchtete fehlt noch und ist einerseits im Gesetzgebungsverfahren als auch für Altfälle dringend notwendig. 

Im Zuge dieses Gesetzes muss jedoch eine analoge Regelung auch hier gelten. Die Grundsätze sind die Gleichen. Demnach muss ein auch bereits volljähriger ehemals unbegleiteter Minderjähriger bzw. dessen Eltern die Möglichkeit haben, einen Visum-Antrag zu stellen. Dabei muß dann zwingend auch trotz Volljährigkeit von Kindeswohlgefährdung und dem Härtefall der Trennung von den Eltern ausgegangen werden, selbst wenn der Stammberechtigte bereits volljährig ist. 

 

Widerrufsverfahren eingeleitet 

Ein eingeleitetes Widerufsverfahren soll die Möglichkeit zum Familiennachzug ausschließen. Diese Regelung fällt unter den gleichen Willkürgedanken wie beim volljährig gewordenen unbegleiteten Minderjährigen. Auch hier könnte langsames Verwaltungshandeln Nachzüge zunichte machen.

Um dies zu begrenzen, müßte zumindest eine Klausel aufgenommen werden, die den Zeitraum auf max. 3 Monate z.B. begrenzt und dann – bei einem immer noch nicht abgeschlossenen eingeleiteten Widerrufsverfahren – den Nachzug dennoch ermöglicht. 

Der Ausländerbehörde ist es jedenfalls nicht zumutbar, nur zu erraten, ob und wie ein Widerrufsverfahren ausgehen könnte, das sie selbst ja gar nicht betreut, sondern das BAMF. 

 

Zusammenfassung

  • Vor dem Hintergrund, dass subsidiär Geschützte de facto in der gleichen persönlichen Situation wie anerkannte Geflüchtete sind, erscheint schon eine Differenzierung nach dem Motto „Aufenthalt auf kurze Zeit“ vor dem Hintergrund der Realitäten kaum nachvollziehbar.
  • Die Anzahl möglicherweise nachziehender Menschen könnte problemlos ermittelt werden, wird es letzt sich aber nicht. Dies erschwert unnötig die Diskussion in die eine wie auch andere Richtung. Die beiden tatsächlich vorliegenden Zahlen des IAB und die Analyse der Daten aus den Anfragen geben ein plausible Bild von rd. 60.000 Menschen, die einen Nachzugsanspruch haben könnten. Vor diesem Hintergrund sollten zunächst  die realen Zahlen evaluiert werden. Stehen diese fest, kann man sich über ein geeignetes Gesetzgebungsverfahren Gedanken machen. 
  • Bleibt man dennoch bei einer Regelung, die nur 1.000 Visa pro Monat vorsieht, muss diese als Kontingent gestaltet werden, die eine regelmäßige Übertragung nicht verbrauchter Teile vorsieht. Die Begrenzung dieser Übertragung alleine auf 2018 ist in jeder Hinsicht nicht sachgerecht und behebt nur die erwartbaren Umsetzungs- und Vollzugsdegfizite, die ohnehin in 2018 zu nur wenigen Visa führen werden. 
  • Das Verfahren unter Federführung des Bundesverwaltungsamtes ist nahezu aberwitzig und nicht umsetzbar. Notwendige Angaben stehen nicht zur Verfügung, Entscheidungen können kaum plausibel getroffen werden. Zudem ist bei jeder Ablehnung oder „Falsch-Kategorisierung“ und ebenso bei möglicherweise falscher Periodisierung mit neuen VG-Klagen zu rechnen.
  • Humanitäre Gründe ebenso wie integrative Aspekte müssen definiert werden,. Zudem braucht es einen Kontext, wie diese Gründe und Aspekte zueinander stehen und welches Gewicht sie haben. Ansonsten sind Klagen vorprogrammiert. 
  • Es muß am Ende eine für alle Beteiligten nachvollziehbare Wertung herauskommen, die auch einer gerichtlichen Überprüfung standhält. Mit der derzeit völlig unklar formulierten Gesetzeslage lassen wir die Menschen perspektivlos und ohne Zukunft.
  • Erstmals richtet sich das AufenthG nach absoluten Zahlen, aber nicht nach humanitären Gründen. Diesen Geist merkt man dem Gesetz an: Es will eigentlich nichts erlauben, sondern formuliert krude Gründe, die ausnahmsweise zu einem fast gnadenähnlichen Akt der Visum-Erteilung führen können. Das ist keine gesetzlich saubere Basis. Im weiteren Sinne soll ein Betroffener wissen, was er machen darf und was nicht. Das ist Regelungsgrundsatz eines Gesetzes. Hier ist das Wissen von einem großen Schulterzucken abgelöst worden. Das kann von niemandem wirklich gewollt sein. 
  • Neben vielen Detailänderungen, die sicherlich von den juristischen Fachleuten auch ebenso detailliert vorgeschlagen werden, muss aus unserer Sicht eine klare Abgrenzung der Härtefälle des „§ 22 zu denen des § 36 a E erfolgen. Ansonsten könnte der § 22 für Menschen mit subsidiärem Schutz unanwendbar werden. 
  • Für minderjährige weitere Geschwister und Kinder muss es klare und eindeutige Regeln geben, die dazu führen, dass deren Visumverfahren zusammen mit den anderen Mitgliedern der Kernfamilie durchgeführt werden kann. Die bisherigen Ausführungsbestimmungen zu § 36 Abs. 4 sind aus vielerlei Hinsicht völlig „neben der Spur“, gefährden Kindeswohl und würden nach dem Gesetz hier u.U. nach stärkere Härtefälle zulasten der Kinder provozieren als sie es ohnehin schon sind. 
  • Eine Altfall-Regelung für alle Menschen mit subisidärem Schutz aus 2015 bis 2018 würde aus unserer Sicht die Lage insgesamt massiv erleichtern: Zahlreiche Klagen vor den Verwaltungsgerichten würden sofort beendet, der Nachzug wäre auf Basis der bekannten Abläufe relativ problemlos zu organisieren. Die Situation wurde sich deutlich entspannen. Alleine aus Praktikabilitätsgründen schon würde dies einen deutlichen Vorteil bringen. Voraussetzung wäre dafür jedoch sicherlich eine offizielle Datenquelle. Dass es die gibt, haben wir nachgewiesen. 

Wir danken für Ihre Aufmerksamkeit und Beachtung. 

Netzwerk Berlin hilft

Christian Lüder 

Berlin, 08.06.2018

christian.lueder@berlin-hilft.com
www.berlin-hilft.com

 

 

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Neuregelung Familiennachzug Stellungnahme Berlin hilft

 

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Stellungnahme Ärzte ohne Grenzen

Stellungnahme Pro Asyl

Stellungnahme Bellinda Bartolucci Pro Asyl

Stellungnahme Prof. Dr. Daniel Thym LL.M.

Stellungnahme Prof. Dr. Marcel Kau LL.M.

Stellungnahme Integrationsbeaugftragter Senat Berlin : Nele Allenberg

Stellungnahme Prof. Dr. Kay Hailbronner

Stellungnahme Deutscher Städte- und Gemeindebund

Stellungnahme Engelhard Mazanke

Stellungnahme UNHCR

 

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