Eines der komplexesten Themen beim Familiennachzug ist der zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF). Dies hing schon immer an der ja oft relativ bald eintretenden Volljährigkeit und den sich daraus ergebenden Zwängen und Zeitabläufen und andererseits relativ neu an der der einschränkenden Auslegung des Runderlasses des auswärtigen Amtes vom Frühjahr 2017.
Die hier folgenden Ausführungen beziehen sich auf den Geschwisternachzug beim Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen. Bei unbegleiteten Minderjährigen mit subsidiärem Schutz verweisen wir auf die ausführliche Erläuterung hierzu.
Wer hat Anspruch auf vereinfachten Familiennachzug?
Asylberechtigteund anerkannte Flüchtlinge haben einen gesetzlichen Anspruch auf vereinfachten Nachzug ihrer Eltern. Subsidiär Geschützte haben an sich den gleichen Anspruch, wobei dieser bis März 2018 ausgesetzt ist.
Wer darf dann vereinfacht zum UMF nachziehen?
Die Eltern, wobei das Visum vor Volljährigkeit erteilt worden sein muss.
Gibt es eine zu beachtende Frist?
Nein, der Nachzug zu einem UMF ist grundsätzlich immer möglich. Die sonst geltende 3-Monats-Frist zur Anmeldung des Anspruches gilt hier nicht. Wichtig ist jedoch das Datum der Volljährigkeit.
Schaubild zu gesetzlichen Grundlagen zum Nachzug generell
Schaubild Voraussetzungen Nachzug der Eltern zum UMF
Was bedeutet vereinfachter Nachzug?
Die normalen Voraussetzungen beim Familiennachzug eines Ausländers sind grundsätzlich folgende (Basis § 5 AufenthG):
- ausreichender Wohnraum
- Sicherung des Lebensunterhaltes
- Deutschkenntnisse
- vorhandener Pass
- geklärte Identität
- kein Ausweisungsinteresse
- Einreise mit dem richtigen Visum
Dies sind grundsätzlich die generell geltenden Voraussetzungen. Für den Nachzug zu einem Ausländer mit einem humanitären Aufenthaltstitel gelten jedoch vereinfachte Voraussetzungen, die insbesondere dazu führen, dass die allgemeinen Voraussetzungen Lebensunterhaltssicherung, Wohnraum und Sprachkenntnisse entfallen (§ 29 AufenthG).
Gleiches gilt auch für die Eltern eines UMF nach § 36 Abs 1 AufenthG.
Hier besteht (bei Erwachsenen mit rechtzeitiger Anmeldung) ein Anspruch auf eine Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Was passiert grundsätzlich bei verpasster Anmeldefrist (bei Erwachsenen)?
Der Anspruch entfällt. Es ist der „normale“ Nachzug weiterhin möglich, allerdings auch nur unter Einhaltung aller allgemeinen Voraussetzungen, also inkl. Lebensunterhaltssicherung, Wohnraum und Sprachkenntnisse.
Übersicht Rechtsgrundlagen Aufenthaltsgesetz
Wie können Geschwister eines UMF nachziehen?
Hier kommen wir zu einem relativ neuen und essentiellen Problem. Volljährige Geschwister sind real vom vereinfachten Nachzug nahezu ausgeschlossen. Minderjährige Geschwister haben größere, wenngleich ebenfalls (inzwischen) sehr geringe Chancen.
Für minderjährige Geschwister ist grundsätzlich der Kindernachzug nach § 32 die Grundlage. Hier kann auch zusammen mit den gleichzeitig einreisenden Eltern ein Visum erteilt. werden.
Ausnahme: Eintritt der Volljährigkeit beim UMF binnen 90 Tagen.
Grundsätzliches Problem:
Der Nachzugsanspruch in vereinfachter Form entsteht ja erst, wenn die Eltern selbst ein eigenständiges Aufenthaltsrecht in Deutschland haben, aus dem sich ein Anspruch auf vereinfachten Nachzug ergibt.
Dies ist logischerweise erst dann der Fall, wenn die Eltern eingereist sind und über ihren eigenen Asylantrag positiv entscheiden wurde. Selbe wenn man in vielen Fällen sicher von einem positiven Ergebnis ausgehen kann, kann dieses Ergebnis eines eigenständigen Verfahrens nicht vorweggenommen werden (AA Runderlass, Entscheidung OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 4.1.2017 – 3 S 107.16).
Zum Thema des eigenen Asylantrages später mehr.
Folge daraus ist, dass für die minderjährigen Geschwister keinen vereinfachten Nachzug gibt.
Für diese Kinder ist demnach Wohnraum und Lebensunterhaltssicherung notwendig.
Wohnraumnachweis
Die Eltern müssen nachweisen, dass nach Ankunft in Deutschland ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht (§ 29 Abs. 1 Ziff. 2 AufenthG). Bezüglich dieses Erfordernisses besteht weder Ermessen noch die Möglichkeit der Annahme eines atypischen Falles (Runderlass AA)
Lebensunterhaltssicherung
Daneben ist auch der Nachweis erforderlich, dass die Eltern den Lebensunterhalt für sich und die nachziehenden Kinder sichern können (§ 5 Abs. 1 Ziff. 1 AufenthG) (Runderlass AA).
Gibt es hiervon eine Ausnahme?
Ja, dann, wenn es sich um einen sog. „atypischen“ Fall handelt.
Ein atypischer Fall ist einer mit Umständen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen.
Es geht hier also um eine hinreichende Prüfung des jeweiligen Einzelfalles. Mögliche Ansätze sind dabei die konkreten Lebensumstände, die Unterbringungssituation, die Betreuung Situation auch Ausreise der Eltern o.ä. Je schlechter diese jeweiligen Punkte beurteilt werden müssen, desto besser sind die Chancen.
Dabei ist aber unbedingt darauf zu achten, dass eine Glaubhaftmachung, also auch ein Beleg, dieser Umstände erfolgen muss, nicht nur eine einfache Schilderung oder Behauptung.
Grundsätzlich gilt jedoch auch hier, dass bei Eintritt der Volljährigkeit des UMF binnen 90 Tagen auch ein atypischer Fall nicht mehr dargelegt werden kann.
Geschwisternachzug bei außergewöhnlicher Härte (§ 36 Abs. 2 AufenthG)
Nach § 36 Abs. 2 ist im Einzelfall auch eine „außergewöhnliche Härte“ eine Möglichkeit, den Nachzug zu erlangen.
Diese außergewöhnliche Härte muss sich allerdings explizit aus der Trennung der Geschwister ergeben. Hierbei ist wichtig, dass diese Härte aus der Sicht des Nachziehenden, nicht des UMF hier zu beurteilen ist.
Der Einfachheit halber sind jedoch im Runderlass gleich mehrere Umstände benannt, die explizit keine außergewöhnliche Härte darstellen:
Der zeitgleiche Elternnachzug und die dadurch selbst herbeigeführte Trennung begründet ebenso keine außergewöhnliche Härte zwischen den Geschwistern wie es ebensowenig das Leben in einem Kriegs- oder Krisengebiet ist, weil dies ja nicht familienbezogen sei (Runderlass AA).
Letzter Hinweis hierzu: Auch ansonsten ist selbst bei Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte zunächst zu überprüfen, ob es sich um einen atypischen Fall handelt. Nur dann kann wiederum von der Notwendigkeit der Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnraumes abgesehen werden.
Schematische Darstellung des Nachzugs von Eltern und minderjähriger Geschwister
Letzte Möglichkeit: § 22 AufenthG
Hierzu haben wir an anderer Stelle schon ausführliche Ausführungen gemacht, auf die wir hier verweisen möchten.
Es ist ein Weg, wenn auch nur für ganz Wenige und unter sehr engen Grenzen.
Welche Lösung gibt es, wenn keine Ausnahmen greifen?
I.d.R. werden die nachziehenden Eltern kaum in der Lage sein, Lebensunterhaltssicherung oder Wohnraum für sich selbst und weitere minderjährige Kinder nachzuweisen.
Demnach bleiben nur drei allesamt unbefriedigende Lösungen:
- Beide Eltern reisen nach Deutschland ein und lassen die weiteren minderjährigen Geschwister bei anderen Verwandten oder Betreuern zurück.
- Ein Elternteil reist ein, das andere Elternteil bleibt vor Ort zusammen mit den minderjährigen Geschwistern,
- Die Eltern und die minderjährigen Geschwister verzichten auf den vereinfachten Nachzugsanspruch.
Entscheiden kann man dies nur individuell. Variante 1 wird sicher nur bei älteren Geschwistern überhaupt in Frage kommen können, 3. ist sicher nicht gewollt. Realistisch ist an sich nur 2.
Was ist dabei zu beachten?
Der vereinfachte Nachzug der weiteren minderjährigen Geschwister ist erst dann möglich, wenn die Eltern einen eigenen Aufenthaltsanspruch in Deutschland haben. Hierzu gibt es zwei Möglichkeiten:
Familienasyl
Nach § 26 AsylG kann man Familienasyl beantragen:
(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn
1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und
5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
Dies bedeutet: Das Elternteil reist ein und stellt „unverzüglich“ einen Antrag auf Familienasyl. Unverzüglich wird hierbei mit 14 Tagen definiert.
Damit bekommt der Nachziehende den gleichen Schutzstatus wie der sog. Stammberechtigte, also der UMF.
Wichtig ist dabei, dass der Antrag auf Familienasyl wiederum vor Volljährigkeit des UMF gestellt werden muss.
Nach erfolgter Anerkennung entsteht dann ein eigener vereinfachter Nachzugsanspruch des Elternteiles für die vor Ort verbliebenen minderjährigen Kinder.
Eigener Asylantrag
U.U. ist auch ein eigenständiger Asylantrag der richtige Weg. Dann wird der gleiche Prozess wie immer durchlaufen, was allerdings auch länger dauert.
Ob dieser Weg der bessere sein mag, muss man nach individueller Beratung entscheiden.
Auch hier gilt, dass nach positiver Anerkennung dann der Anspruch auf vereinfachten Nachzug der minderjägien Kinder (Geschwister) zum Elternteil und damit zum UMF entsteht.
Problem: Baldige Volljährigkeit des UMF
Wie dargestellt, erlischt der Nachzugsanspruch mit Volljährigkeit des UMF. Das Visum muss bis dahin erteilt sein. Da das Visum bis max. zum Datum der Volljährigkeit ausgestellt wird, muss auch die Einreise bis dahin erfolgt sein. Ebenso muss der Antrag auf Familienasyl bis zur Volljährigkeit gestellt sein.
Dies alles gilt es grundsätzlich, jedoch auch bei der individuellen Abwägung zu beachten.
Planen die Eltern beispielsweise die Trennung. also den Verbleib eines Elternteiles vor Ort bei den anderen minderjährigen Geschwistern, muss man darauf achten, dass für das verbleibende Elternteil das Visum auch mit Volljährigkeit des UMF endet, auch wenn bis dahin ein Antrag auf Familienasyl des anderen Elternteiles in Deutschland noch nicht entschieden wurde.
Wird der UMF binnen 90 Tagen volljährig, wird auch das Visum unter 90 Tagen erteilt werden, also nur bis zum Tag der Volljährigkeit.
Dokumente und links
Portal zu Familiennachzug und Familienzusammenführung auf Asyl.net
Runderlass Auswärtiges Amt Geschwisternachzug
Vielen Dank für die ausführliche Schilderung – gerade die Tatsache, dass das zum UMF nachziehende Elternteil einen Antrag auf Familienasyl stellen kann, war mir nicht bekannt (trotz eingehender Beratung hier vor Ort). Bei dem UMF, den ich begleite, kommt erschwerend hinzu, dass die Familie in Jordanien lebt und dort keine Möglichkeit besteht, dass die minderjährigen Geschwister bei Verwandten unterkommen. Die Mutter ist erkrankt, aber nicht so schwer, dass Paragraph 22 in Frage kommt. Und eine Schwester ist über 18 … Wenn ich das richtig sehe, gibt es keine Möglichkeit, dass die Familie (ohne die 18-jährige Schwester) in einem Zug einreisen kann? Der UMF wir Ende 2018 volljährig. VG
Danke. Nur eben mit Wohnraumnachweis und Lebensunterhaltssicherung. Man kann ja dennoch alle anderen Anträge versuchen, aber die Chancen sind halt nicht besonders gut. Die Schwester könnte nur über eine Verpflichtungserklärung kommen, wenn im jeweiligen Bundesland ein Aufnahmeprogramm besteht. Die Frage ist aber andererseits, ob im schlechtesten Fall die Schwester nicht für die anderen Geschwister sorgen kann und die Mutter herkommt.
Ja, ich denke auch, dass es darauf hinausläuft, dass sich die Schwester kümmert und die Eltern oder zumindest die Mutter herkommen. Leider hat ProAsyl der Familie ziemliche Hoffnungen gemacht – klar kann man Anträge stellen, aber der Junge könnte auch nach Jordanien reisen, denn die Familie will gesamt herkommen.
Wie erfahre ich, ob es in NRW ein Aufnahmeprogramm gibt – hab davon noch nicht gehört?
Hallo Figuralis, in Berlin gibt es eine Organisation, die Flüchtlingspaten Syrien, die alle Informationen zu den Verpflichtungserklärungen, inklusive einer Auflistung der teilnehmenden Bundesländer auf ihrer Hompage haben, man muss aber sehr genau lesen
NRW hat leider kein laufendes Landesaufnahmeprogramm.