Vorbemerkung
Der hier folgende 10-Punkte-Plan ist in gemeinsamer Arbeit zwischen mehreren mit dem Thema Tegel sehr gut Vertrauten entstanden. Wesentlich ist zunächst, dass wir dies in Kenntnis der generell extrem angespannten Unterbringungssituation getan haben. Die Schließung von Tegel wird inzwischen von allen Beteiligten inklusive LAF und Senat gefordert, allerdings immer darauf verwiesen, dass eine Schließung nicht möglich sei, solange es nicht mehr Plätze an anderen Stellen gebe. Unser Plan geht deshalb davon aus, dass die Unterkunft in Tegel wie vereinbart bis mindestens Ende 2025 bestehen bleiben muss.
Unabhängig davon ist es jedoch nach unserer Auffassung deshalb nicht nur notwendig, sondern zwingend, nun schnell die Bedingungen dieser prekären Unterbringung zu ändern und zu verbessern. Dies geht im übrigen auch ohne weitere finanzielle Mittel, die in Tegel ja in erheblichem Umfang ohnehin schon ausgegeben werden. Auch am ja ebenfalls bereits vorhandenen Personal scheitert dies aus unserer Sicht nicht. Grundlage für eine Vielzahl der Punkte sind im übrigen Konzepte, die vom LAF und SenASGIVA bereits in der Vergangenheit – teilweise zusammen mit der Zivilgesellschaft und anderen Organisationen – erarbeitet und auch bereits teilweise praktiziert wurden. Schließlich gab es Notunterkünfte in Gebäuden, die dafür nicht vorgesehen waren, ja auch schon von 2015 bis 2017. Umso einfacher ist deren Umsetzung aus unserer Sicht.
Wir verstehen diesen Plan als insoweit konstruktive Anregung zur Verbesserung der Situation der dort Untergebrachten, solange TXL nicht geschlossen oder zumindest in Teilen aufgelöst werden kann.
Das Papier liegt seit dem 16.05.2024 auch allen für die Umsetzung wesentlichen Institutionen vor.
Vorwort
Uns ist bewusst, dass die Unterbringungskapazitäten in Berlin extrem angespannt sind und sich dies nicht auf absehbare Zeit ändern wird.
Daneben bezeichnen jedoch alle Funktionsträger:innen wie die Senatorin Kiziltepe, der LAF Präsident Seibert oder der Flüchtlingskoordinator Broemme die Unterkunft in Tegel als „unzumutbar“. Nach über 2-jährigem Bestehen und rund 1,5 Jahren, in denen TXL nicht mehr nur ein Verteil- und Ankunftszentrum, sondern eine Unterkunft für Monate bis Jahre, ist es erforderlich, dass zumindest rudimentäre Mindeststandards eingeführt werden, die dieser Realität Rechnung tragen. So wurde mit sehr viel Geld die mit Abstand größte Flüchtlings-Unterkunft in Deutschland, wenn nicht sogar in Europa (gemessen an offiziellen Kapazitätszahlen) geschaffen, zugleich aber in keiner Weise Leistungs- und Qualitätsbeschreibungen implementiert.
Aus der konkreten Fluchterfahrung, der prekären Unterbringungssituation und dem Aufenthaltsstatus ergibt sich ein unabweisbarer Betreuungs- und Beratungsbedarf ab dem ersten Tag, dem die im UA TXL ansässigen Hilfsorganisationen in einem nicht klar definierten Maße nicht oder nur teilweise nachkommen.
Ziel
Die Aufgabenprofile und Qualitätsstandards, hier insbesondere in Bezug auf Betreuungs- und Beratungsleistungen gegenüber denen im UA TXL Untergebrachten, müssen denen anderer Regelunterbringungen des LAF soweit wie möglich angeglichen werden. Der Fachbeirat wird deshalb gebeten, zentrale Aufgaben und Prozesse im Zuge der folgenden Ergänzung zum Betreibervertrag mit dem DRK (Kreisverband SWB) zu prüfen, um unabdingbare Kernprozesse festzuschreiben und damit die Unterbringungsqualität endlich deutlich zu erhöhen.
Begründung
Seit Anfang Mai werden polizeiliche Adressanmeldungen für die vor Ort länger als zwei Wochen Aufhältigen durchgeführt. Damit ist der Bezirk Reinickendorf alleinig für einige Prozesse mehr zuständig geworden. Im Übrigen liegt hierzu immer noch keine offizielle Regelung zu den Zuständigkeiten für die einzelnen Leistungsbereiche vor, die dringend benötigt wird. Das Ankunftszentrum wird deshalb spätestens dadurch zu zu einer Unterkunft/ einem Ankunftszentrum mit deutlich erweiterten Funktionen und Aufgaben. Dies muss sich auch in den vertraglich vereinbarten, und dadurch erwartbaren und prüfbaren Aufgabenspektrum der dort tätigen Wohlfahrtsorganisationen widerspiegeln.
Die geringe, nicht transparente und dadurch zwingend unzureichend einforderbare Aufgaben- und Tätigkeitsprofile, inbes. Bzgl. der Betreuungs- und Beratungsleistungen seitens der beauftragten Wohltätigkeitsorganisationen sind nicht nachvollziehbar. Die Situation ist überdies vor dem Hintergrund der bisherigen Bestehensdauer, der Anzahl an untergebrachten Menschen, ihrer Aufenthaltsdauer, dem zu erwartenden weiteren Fortbestehen sowie Ausgaben von derzeit rd. 260€ pro Person/Tag im UA TXL ist völlig inakzeptabel.
Vorschläge
Vorschläge für zu implementierende Kernprozesse zur Professionalisierung und Erweiterung der Beratungs- und Betreuungsleistungen:
- Unterbringungskonzept mit Leitbild
- Gesetzliche und vertragliche Grundlagen
- Leistungs- und Qualitätsbeschreibung
- Gewaltschutz- und Sicherheitskonzepte
- Aufgaben und Rollen der Fachbereiche/Gewerke
- Instandhaltung und Hygiene
- Umgang mit Eigentum der Kund*innen
- Vorzuhaltende Angebote, Öffnung und Kooperation der Unterkunft
- Organisation und Erweiterung der Unterkunft
- Sonstiges
- Unterbringungskonzept mit Leitbild
Klare Bekenntnis und die Umwidmung von TXL zu einer Unterkunft statt eines Transitzentrums
Offenlegung und Überarbeitung des Betriebskonzeptes zu TXL auf dieser Basis
(Von Gästen zu Bewohnenden)
- Gesetzliche und vertragliche Grundlagen
Ausschreibung von Unterkunftsleistungen, nach Betreuungsgebieten oder auch nach Teilbereichen (Pro Zelt oder auch je nach Aufgabenbereich o.ä.)
Entsprechende Gesetze aushängen, zugänglich machen
- z.B. Asyl- und Zuwanderungsgesetze
- Sozialgesetze und Zuständigkeitsverordnungen
- Hygiene-, Sicherheits-, Kinderschutz-, Gewaltschutz- und Brandschutzkonzepte und –Verordnungen
- Rechte und Pflichten der Bewohnenden der Unterkunft
- Hausordnung übersetzen und unterzeichnen lassen
- Leistungs- und Qualitätsbeschreibung
Formulierung und Vereinbarung von klaren Leistungs- und Qualitätsbeschreibungen (LQB) auf Basis der bekannten LQB für EAE und GU unter Berücksichtigung der besonderen Situationen in TXL
Vereinbarung eines klaren Personalschlüssels für TXL auf Grundlage des Schlüssels für AE.
Vereinbarung eines klaren inhaltlichen Profils, insbesondere zu Sozialarbeit und Sozialbetreuung auf Grundlage der vorhandenen LQBs und unter Berücksichtigung der in der Broschüre „Ihre Rechte, Pflichten und Ansprüche als BewohnerInnen einer Unterkunft für Geflüchtete in Berlin“ von LAF und SenASGIVA. Muster könnten auch die Vereinbarungen zu den Hangars in Tempelhof sein.
- Gewaltschutz- und Sicherheitskonzepte
Konzepte sollten zeitnah und vollständig erstellt, von Expert:innen geprüft, dann implementiert werden durch Bekanntgabe, Aushang, Zurkenntnisnahme der Bewohnenden bei Check-In durch Unterzeichnung, insbesondere Aushang von Meldeketten, auch in entsprechenden Sprachen an allen relevanten Punkten (Zelte, Ein- und Ausgänge, Infopoints). Ggf. sind die Konzepte und Meldepflichten auch von Dritten, insbesondere regelmäßig am Ort tätigen abzuverlangen.
Neben den bekannten Gewalt- und Kinderschutzkonzepten, sollten die Schutzkonzepte weiterentwickelt und erweitert werden um:
- Sicherheitskonzept (inkl. Katastrophenschutzkonzepten)
- Verfahren bei Ausnahmesituationen
- Verfahren bei akuten Gewalt- und Bedrohungssituationen
- Verfahren bei Fremd- und Eigengefährdung
- Verfahren bei Hinweisen auf Gefahr im Verzug
- Verfahren bei substanzintoxikierten Personen (mit Sorgeverpflichtung)
- Selbstschutz von Mitarbeitenden
- Benennung von Vertrauenspersonen/Ansprechpartner:innen
- Erweiterte Führungszeugnisse von allen am Ort Tätigen (auch dritten Beratungsstellen)
- Umsetzung der einheitlichen Hausordnung für LAF-Unterkünfte (Verbot von Diskriminierung…)
- Aufgaben und Rollen der Fachbereiche/Gewerke
Vereinbarung von klaren Beratungs- und Betreuungs-Inhalten, insbesondere zu Sozialarbeit, Sozialbetreuung und Beratungsleistungen auf Grundlage der LAF-Standards und der Vereinbarungen in „Rechte und Pflichten-Broschüre“
Generell sind Aufgabenprofile, Rollenverständnis, Abgrenzung der Zuständigkeiten und Befugnismatrix zu empfehlen. Insbesondere der Aufgabenbereich der Sozialbetreuung sollte einem Gewerk zugedacht und deutlich erweitert werden. Als gesonderter Bereich soll die medizinische Versorgung in TXL definiert und detailliert aufgestellt werden.
Prozesse, die dringend einer Ausarbeitung und Verantwortlichkeit bedürfen:
- Aufnahme und Schnellclearing
- Postausgabe und –erläuterung
- Besuchsregelung
Klare Zugangsregelungen und – unabhängig davon – Einrichtung von Begegnungsmöglichkeiten für Besucher:innen, Freunde oder auch Ehrenamtliche in oder direkt bei TXL
- Abmahnungen und Hausverbote, insbesondere keine Hausverbote in die Obdachlosigkeit
- Umgang mit besonders Schutzbedürftigen
Identifikation von Behinderten, Pflegebedürftigen, besonders Schutzbedürftigen und deren umgehende Verlegung
- Instandhaltung und Hygiene
- Schlüssel der Sanitäranlagen prüfen und ggfls nachrüsten
- Reinigungsnachweispläne
- Überarbeitung der Sanitäranlagen und Wegeleitsysteme dorthin
- Intensivierung der Reinigungsintervalle
- Umgang mit Eigentum der Kund*innen
- Umgehende Nachrüstung mit Schränken/Schließfächern entsprechend der Unterbringung, insbesondere in Terminal C
- Möglichkeiten der Ablage und Privatsphäre schaffen
- Vorzuhaltende Angebote, Öffnung und Kooperation der Unterkunft
- Einrichtung einer zentralen Möglichkeit zur Antragstellung für Ukrainer:innen in TXL für Leistungen und Definition weiterer essentieller ergänzender Beratungsangebote analog zu den Regeleinrichtungen des LAF
- Schaffung von Begegnungs- und Aufenthaltsräumlichkeiten
- Einrichten von autarken Beratungsräumlichkeiten
- Anbindung und freier Zugang von bewährten und erfahrenen externen Beratungsangeboten
- Organisation und Erweiterung der Unterkunft
- Entzerrung von Terminal C – mindestens keinerlei Neubelegung mehr
- Umverlegung von Bewohnenden, wenn wie aktuell Frauen mit Männern zusammengelegt werden, die nicht in einer Art Beziehung zueinanderstehen
- Sonstiges
- Klare Regelung zur Ausgabe von BVG-Tickets, Mindestausgabe immer 2 für Hin- und Rückfahrt
- Ausgabe von Monatstickets für die ersten 2 Monate unter Vereinbarung der Verrechnung mit Leistungen der bezirklichen Sozialämter, analog zu Asylsuchenden
Schlussbemerkung
Seit nun rd. 12 Monaten versuchen wir im Begleitgremium der Berliner unabhängigen Beschwerdestelle (BuBS) wie auch an diversen anderen Stellen und anderen Formaten zunächst einmal eine grundsätzliche Klärung des Ist-Zustandes zu vertraglichen Grundlagen und vereinbarten Standards herbeizuführen. Bisher waren diese Versuche leider wenig erfolgreich. Auch die Antworten von LAF/SenASGIVA auf die Beschlüsse des Fachbeirates der BuBS auf Initiative des Begleitgremiums waren letztlich wenig informativ.
Es ist unabdingbar, dass wir im Rahmen einer kooperativen Zusammenarbeit und auch in Kenntnis der aktuellen Situation und Herausforderung im Land Berlin zur Unterbringung zunächst die tatsächlichen Grundlagen aufklären, damit dann mit den verschiedenen involvierten Institutionen bessere Lösungen vor allem im Sinne der Untergebrachten gefunden werden können.
Damit können zwar die „unzumutbaren“ prekären Unterbringungsbedingungen nicht grundlegend geändert, aber zumindest bis zu einer Schließung für Bedingungen gesorgt werden, die genau dieser Situation und diesen Umständen Rechnung tragen.
In all diesen Punkten sind wir uns fachlich seit Langem einig. Damit fehlt es nur noch daran, nun dieser Einigkeit auch Ausdruck zu verleihen.
Berlin, 15.05.2024