Podcast Ausführlich: Längerer Bezug nach Asylbewerberleistungsgesetz: Nun 36 statt 18 Monate . Ist das verfassungswidrig? Gespräch mit RA Volker Gerloff

Per 27.02.2024 wurde der Zeitraum, in dem man aus Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in den nach SGB II/XII, also Bürgergeld oder Sozialhilfe, wechselt, von bisher 18 auf 36 Monate verlängert. Wir sprechen dazu mit Rechtsanwalt Volker Gerloff, insbesondere über die Frage, ob sich dies überhaupt mit den Grundsätzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 2012 vereinbaren lässt.

Volker Gerloff ist gerade auf das Leistungsrecht nach AsylbLG und SGB spezialisiert und sehr versiert. Und wir haben mit ihm schon einmal in 2023 eine Podcast-Folge zum AsylbLG gemacht.

Hintergrund für diese Gesetzesänderung ist der Beschluss der Ministerpräsidentenkopnferenz vom 06.11.2023, in der man sich politisch auf ein ganzes Bündel von Änderungen und vor allem Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsgesetzes verständigt hat, die – angeblich – dazu führen sollen, dass „pull-Faktoren“ reduzieren sollen, damit sich die Anzahl Geflüchteter, die nach Deutschland kommen, reduzieren soll. 

Keiner dieser Pull-Faktoren ist wissenschaftlich belegt und basiert eher auf politisch motivierten Vermutungen denn einer substanziellen Grundlage. 

Leistungen nach dem AsylbLG sind gegenüber denen nach SGB II/XII, besser bekannt als Hartz4 oder nun Bürgergeld, abgesenkt. Das AsylbLG wurde im „Asylkompromiss“ 1993 mit dem politischen Ziel eingeführt, Anreize für Geflüchtete nach Deutschland zu kommen, zu reduzieren. 

Schon die Frage, ob, wann, bei wem, warum und in welcher Höhe man Leistungen nach Bürgergeld, die das Existenzminimum absichern sollen, überhaupt reduzieren kann, ist mehr als nur problematisch und vor allem auch seit spätestens 2012 durch ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts rechtlich deutlich begrenzt. 

Zu allen Hintergründen und zu den gesetzlichen Änderungen beim AsylbLG gibt es eine Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, die sehr eindrucksvoll belegt, dass der Zeitraum für den Wechsel in die Analogleistungen letztlich wahllos zwischen 12 und bis zu 48 Monaten geändert wurde. 

Die Entscheidung vom BVerfG von 2012 stellt dabei deutlich die folgenden wesentlichen Erwägungen heraus: 

  1. Wenn der Gesetzgeber meint, für eine bestimmte Personengruppe andere (abgesenkte) Leistungen gewähren zu wollen, muss es hierzu eine konkrete Ermittlung geben, warum diese Personengruppe einen anderen (geringeren) Bedarf hat als das eigentliche Existenzminimum. 
  2. Dies darf dann auch nur für einen sehr begrenzten Zeitraum erfolgen, für den es ebenfalls eine konkrete Ermittlung geben muss, warum es sich um genau diesen Zeitraum handelt. 
  3. Migrationspolitische Erwägungen dürfen nicht dazu führen, deshalb einen anderen (geringeren) Bedarf festzulegen. 

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2012/bvg12-056.html

Aufgrund dieser Entscheidung erfolgte seinerzeit eine Anpassung und Absenkung des Zeitraumes, bis zu dem der Wechsel in reguläre Leistungen nach SGB II/XII stattfindet, von damals 48 Monaten auf nur noch 15 Monate. 

Zur Historie der unterschiedlichen Zeiträume bis zum Analogleistungsbezug gibt es die im Podcast erwähnte Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags:

https://www.bundestag.de/resource/blob/986462/c13a97b53db6e730db7a28774c646dfe/WD-3-138-23-pdf.pdf

Erkennbar nimmt der Gesetzgeber in der Beschlussempfehlung vom Januar 2024 zur Verlängerung des Zeitraumes auf 36 Monate bis zum Wechsel in Analog-Leistungen Bezug auf die o.g. Minitserpräsidentenkonferenz. Interessanterweise wird in der doch ziemlich hingehauenen stelzigen Begründung dann zwar versucht, auf die Grundsätze des BVerfG einzugehen, allerdings unterbleibt schon eine an sich notwendige Differenzierung nach den unterschiedlichen Aufenthaltsdauern zwischen Menschen im Asylverfahren und zB langjährig Geduldeten.

Beschlussempfehlung mit Verlängerung des Zeitraums von 18 auf 36 Monate

https://dserver.bundestag.de/btd/20/100/2010090.pdf

Im Rahmen des Beschlusses des Bundestages gibt es dann infolge dieser ganzen offensichtlichen Widersprüche zwar zahlreiche Protokollerklärungen von Abgeorneten der SPD und der Grünen, allerdings nahezu durchgehend dennoch deren Zustimmung.

Protokollerklärungen ab Seite 18824 (Anlage 5 ff)

https://dserver.bundestag.de/btp/20/20147.pdf#P.18725

Zum Umgang mit Leistungsbescheiden seit 01.03.2024 folgt noch ein gesonderter Beitrag mit den rechtlichen Möglichkeiten dazu.

Denn insgesamt muss man sagen, dass Betroffene alle Möglichkeiten zum rechtlichen Offen-Halten der Leistungsbescheide nutzen sollten.

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