EuGH-Urteil: Keine Frist bei Folgeanträgen

Der EuGH hat am 09.09.2021 ein Urteil gesprochen, nach dem die Frist, innerhalb der Folgeanträge gestellt werden müssen, nicht wirksam ist. Im konkreten Fall ging es zudem um die Frage, ob im ersten Verfahren bereits bestehende, aber nicht vorgetragene Gründe dennoch zu berücksichtigen sind.

Zum Thema Folgeantrag Afghanistan gibt es eine sehr ausführliche und detaillierte Darstellung, wann, wie und für wen ein solcher Folgeantrag in Betracht kommen kann und welche Umstände dabei bedacht werden müssen. Ein wesentlicher Umstand war dabei bisher die Frist von 3 Monaten ab Kenntnis der neuen Sachlage zur Stellung des Folgeantrages, die nach Auslegung Vieler am 15.11.2021 enden würde.  

Hinweis: Update 02.11.2021: Ergänzung anderer Rechtsmeinung zu Art. 40 Asylverfahrens-RL via asyl.net

Urteil des EuGH

Ergänzend dazu gab es nun am 09.09.2021 das Urteil des EuGH. Im konkreten Fall ging es um einen Fall eines Irakers in Österreich, dessen Folgeantrag mit Verweis auf eine solche (in Österreich andere) Frist abgelehnt wurde. Im konkreten Fall hatte dieser Syrer im Folgeverfahren zudem vorgetragen, dass er aufgrund seiner Homosexualität verfolgt wird, dies allerdings im ersten Verfahren nicht erwähnt. Daraufhin wurde sein Folgeantrag in Österreich abgelehnt, weil er diesen Umstand bereits im ersten Verfahren hätte vorbringen müssen.

Der EuGH sieht dies allerdings anders und urteilte, dass die Stellung eines Folgeantrages nicht von einer Frist abhängig gemacht werden dürfe.

Bekanntermaßen gibt es in Deutschland mit § 71 Abs. 1 AsylG  ebenfalls eine solche Frist, hier in Deutschland von drei Monaten. 

Der EuGH stellte daneben jedoch zwei weitere Bedingungen fest.

Eine solche Wiederaufnahme im Rahmen eines Folgeantrages kann davon abhängig gemacht werden, dass

  1. diese neuen Elemente oder Erkenntnisse erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Folgeantragsteller als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist. Ist dies der Fall, können auch Umstände berücksichtigt werden, die bereits zum Zeitpunkt des ersten Verfahrens bekannt waren, aber nicht vorgetragen wurden.

    Dazu heißt es in Art. 40 Abs. 3 Asylverfahrensrichtlinie

(3) Wenn die erste Prüfung nach Absatz 2 ergibt, dass neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antrag­steller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahr­scheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, wird der Antrag gemäß Ka­pitel II weiter geprüft. Die Mitgliedstaaten können auch andere Gründe festlegen, aus denen der Folgeantrag weiter zu prüfen ist.

Art. 40 Abs. 3 Asylverfahrensrichtlinie
  1. der Antragsteller ohne eigenes Verschulden nicht in der Lage war, diese neuen Elemente oder Erkenntnisse im früheren Verfahren vorzubringen.

Bezug hier ist Art. 40 Abs. 4 Asylverfahrensrichtlinie:

(4) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Antrag nur dann weiter geprüft wird, wenn der Antragsteller ohne eigenes Verschulden nicht in der Lage war, die in den Absätzen 2 und 3 dargelegten Sachverhalte im früheren Verfahren ins­besondere durch Wahrnehmung seines Rechts auf einen wirk­samen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 vorzubringen. 

Art. 40 Abas. 4 Asylverfahrensrichtline

Offenbar strittig ist nun, ob Deutschland dies in nationales Recht umgesetzt hat. Eine Auslegung ist, dass dies erfolgt ist.

Dies ergibt sich aus § 51 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz:

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
§ 51 Wiederaufgreifen des Verfahrens

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2. neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.
(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

§ 51 VwVfG

Dieser Auslegung folgt zumindest das BAMF (siehe 2. Zitat/Folie).

Eine andere Auffassung wird auf Asyl.net diskutiert. Hiernach reicht der Verweis auf § 51 VwVfG via § 71 AsylG nicht aus. Letztlich klären muss dies irgendwann die Gerichtsbarkeit. Allerdings ist zumindest erst einmal davon auszugehen, dass das BAMF die erste Auslegung erst einmal anwendet.

Konkrete Anwendung durch BAMF

Bekanntlich hängt der Himmel nicht voller Geigen, aber voller EuGH-Entscheidungen, die Deutschland bzw. das BAMF mit unterschiedlichen Argumenten dennoch nicht umsetzt. Insofern stellte sich die Frage, ob, was und wie nun in Deutschland konkret und verbindlich aus diesem EuGH-Urteil folgt. Deshalb dazu die folgenden Hinweise:

Anwendung bzw. Wegfall der Frist

Das BAMF argumentiert jedenfalls dazu in genau im Kontext des Urteils und teilt erst einmal grundsätzlich mit, dass die 3-Monatsfrist keine Anwendung mehr finden wird: 

Für die nationale Rechtspraxis ist vor allem die Unzulässigkeit einer Ausschlussfrist von Bedeutung. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG verweist wie § 71a Abs. 1 AsylG auf die nach § 51 Abs. 3 VwVfG zu wahrende Dreimonatsfrist für die Geltendmachung einer Änderung der Sach- oder Rechtslage. Hieran kann künftig nicht mehr festgehalten werden. 

BAMF, 15. Oktober 2021

Zwischenzeitlich berichtet Asyl.net im oben verlinkten Beitrag auch von einer ersten gerichtlichen Entscheidung in diesem Sinne.

Geltendmachung von Gründen erst im Folgeverfahren

Vor dem Hintergrund des Urteils kann sich im Folgeantrag insbesondere bei Menschen mit einer rechtskräftigen Ablehnung des ersten Asylantrages die Frage stellen, ob die nun im Folgeverfahren vorzubringenden Gründe schon im ersten Asylverfahren vorgebracht wurden oder nicht. 

Hierzu stellt das BAMF genau die o.g. Rechtsbezüge her und leitet daraus, insbesondere aus der Einschränkung in Art. 40, ab, dass sich für die Prüfung von Folgeanträgen dann ein neuer Prüfungsmaßstab ergeben könnte:

Quelle: BAMF 15. Oktober 2021

Im Ergebnis ist denkbar, dass das BAMF bei Folgeanträgen nun generell auf die in Art. 40 genannte „erhebliche Wahrscheinlichkeit“ auf „Anspruch auf internationalen Schutz“ abstellen wird und damit versucht, Folgeanträge, die diesem Anspruch nicht gerecht werden, jedenfalls dann als unzulässig abzulehnen, wenn diese „erhebliche Wahrscheinlichkeit“ nach seinen Maßstäben nicht gegeben scheint. Hier scheint offenbar nach Aussage des BAMF ein Ergebnis noch offen.

Zusammenfassung

Grundsätzlich kann nach diesem Urteil ein Folgeantrag nun auch nach Ablauf von 3 Monaten gestellt werden. Dies hat das BAMF auch so bereits anerkannt und wird es umsetzen.

Offen ist hingegen, ob das BAMF bisherige Prüfungsmaßstäbe ändert und nun vor allem darauf abstellt, ob Verfolgungsgründe bereits im ersten Verfahren vorgetragen wurden und davon ausgeht, dass es einen Ausschluss für deren Vortrag gibt, wenn dies erst im Folgeverfahren erfolgt.

Link zum vollständigen Urteil

6 Gedanken zu „EuGH-Urteil: Keine Frist bei Folgeanträgen“

  1. Kann ein Nachfolgeantrag nur vom Asylbewerber selbst gestellt werden? Die Anwältin sagte dies zumindest, doch ohne fachlicher Hilfestellung finde ich es etwas schwierig.
    Vielleicht haben Sie auch zufällig Antwort darauf, ob man dann wieder ganz von Anfang anfängt, also von der eigenen Wohnung zurück ins Heim und Verlust der Arbeit über 3 Monate?
    Vielen Dank.

    Antworten
    • Der Antrag muss zumindest im eigenen Namen oder durch eine/n bevollmächtigte/n Anwalt/in erfolgen. Fachliche Hilfestellung ist eigentlich zwingend, aber ja immer möglich.

      Eine Arbeit wäre mit einer später erteilten Bestattung genehmigungspflichtig, aber möglich.

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.