Nach einem am 19.11.2020 ergangenen EuGH-Urteil müssten syrische Kriegsdienstverweigerer eine Anerkennung als Flüchtling bekommen. Für Menschen, die bereits das Asylverfahren abgeschlossen haben, ohne den Flüchtlingsstatus erhalten zu haben, kann es sinnvoll sein, einen Folgeantrag zu stellen.
Wir haben hierzu die Informationen und Musteranträge zusammengestellt. Hierbei haben wir einerseits danach unterschieden, ob noch ein Asylverfahren läuft oder bereits abgeschlossen ist und andererseits nach dem jeweils vom BAMF zuerkannten Schutzstatus differenziert.
Es empfiehlt sich im besten Fall immer eine anwaltliche Begleitung, gerade dann, wenn der Folgeantrag selbst auch Folgen haben kann, wenn z.B. nur ein Abschiebungsverbot vom BAMF zuerkannt wurde.
Informationen zur Vorgehen/Folgenantragstellung nach Status/Stand des Verfahrens
Noch im Asylverfahren
Das BAMF muß das EuGH-Urteil eigenständig prüfen, berücksichtigen und anwenden.
Sicherheitshalber sollte man jedoch im laufenden Asylverfahren auf dieses Urteil noch einmal konkret verweisen.
Grundsätzlich gilt hier jedoch auch, dass die vom EuGH entschiedenen Fragestellungen auch im Asylverfahren bisher schon eine Rolle gespielt haben sollten. Hier ist natürlich danach zu differenzieren, ob schon eine Anhörung stattgefunden hat.
Hat noch keine Anhörung stattgefunden, muss man im Rahmen der Anhörung die Umstände mit Bezug auf den Militärdienst und die auch vom EuGH geprüften Punkte explizit vortragen.
Fand eine Anhörung bereits statt, in der diese Aspekte nicht oder zu wenig beleuchtet wurden, ist eine schriftliches Nachreichen anzuraten.
Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen oder Aufstockungsklage
A) Als Flüchtling anerkannt
Keine Handlung erforderlich.
B) Subsidiärer Schutz zuerkannt
a) Bei laufendem Klageverfahren auf Zuerkennung Flüchtlingsstatus
Hinweis auf das Urteil mit ergänzendem Schriftsatz. Hierzu kann der Musterschriftsatz als Grundlage dienen, muss aber dann ohnehin angepasst werden, da es sich nicht um einen Folgeantrag handelt. Dies sollte ohnehin dann anwaltlich erfolgen.
Das Gericht muss das EuGH-Urteil von Amtswegen prüfen. Dennoch gilt auch hier, dass der ergänzende Vortrag zu genau diesen Umständen wichtig ist.
b) Bei rechtskräftigem Bescheid
Möglichkeit eines Folgeantrages prüfen
Zuerkanntes Abschiebeverbot
Wurde im ersten Asylverfahren nur ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG beschieden und daraus folgend eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt, erlischt diese Aufenthaltserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 8 AufenthG bei Stellung eines Asylfolgeantrags.
Hier bitte deshalb unbedingt vor Stellung eines Folgeantrages anwaltlich beraten lassen!
Etwas anderes ist es dann, wenn der BAMF-Bescheid mit dem zuerkannten Abschiebeverbot beklagt wurde. Dann wurde keine Aufenthaltserlaubnis erteilt, die erlöschen könnte.
Dennoch auch hier bitte anwaltliche Beratung dazu!
Folgeantrag: Wann kann man diesen stellen?
Ein Folgeantrag (§ 71 Asylgesetz) kann nach einem abgeschlossenen Asylverfahren gestellt werden, wenn »sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat« (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz).
Trifft dies zu?
Bisher bzw. nach deutscher Systematik: Nur eine Gesetzesänderung sowie Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG (z.B. unvereinbare oder nichtige Gesetze) sind eine geänderte Rechtslage.
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt bislang in einer Änderung (höchstrichterlicher) Rechtsprechung keine Änderung der Rechtslage (Urt. v. 30.08.1988, 9 C 47.87; Beschl. v. 01.07.2013, 8 B 7.13).
ABER:
Anderslautende Auffassungen in der Literatur. Dazu passt ein weiteres, anderes, EuGH-Urteil:
Diese andere Auffassung wurde nun durch den EuGH gestärkt. In der Entscheidung zu den ungarischen Transitzonen von 2020 hat der EuGH das ungarische Konzept des »sicheren Transitstaats« als neuen Unzulässigkeitsgrund als unionsrechtswidrig verurteilt.
Diese Entscheidung gelte auch als neue Erkenntnis, die einen Folgeantrag begründe. Dieser müsse unmittelbar nach Kenntnis des Urteils erfolgen. Eine Verpflichtung der Asylbehörde, die Verfahren von sich aus neu aufzurollen, gebe es nicht (Rn. 187 ff; siehe hierzu auch Constantin Hruschka beim Verfassungsblog).
Demnach sind auch die Gründe, die der EuGH nun für unionsrechtswidrig hält, neue Erkenntnisse und eine Änderung der Rechtslage im o.g. Sinne, die die Stellung eines Folgeantrages rechtfertigen.
Frist
Die Frist für eine Antragstellung durch geänderte Rechtslage etc. beträgt 3 Monate, reicht also bis zum 19.02.2021.
In welchen Fällen von Kriegsdienstverweigerung?
Das EuGH-Urteil hat bestimmte Konstellationen beleuchtet. Nur bei Zutreffen dieser Umstände macht ein Folgeantrag einen Sinn.
Hierzu muss man in den ablehnenden oder nur teilweise stattgebenden BAMF-Bescheid schauen und sich mit den Passagen beschäftigen, die sich auf das Thema Kriegsdienst bzw. Verweigerung und Verfolgung deshalb beziehen.
Konkret bezieht sich dies auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG:
„Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen (Gemeint sind Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit).
Ist nichts davon bereits im Asylverfahren vorgetragen worden, ist auch ein Folgeantrag jetzt nicht aussichtsreich.
Zu den Gründen bzw. Argumentationen, in denen das BAMF u.U. die Anerkennung als Flüchtling verweigert haben kann:
- Ablehnung durch BAMF, weil der Wehrdienst nicht formal verweigert worden ist
- Ablehnung durch BAMF, weil nicht belegt werden konnte, dass der Antragsteller an Kriegsverbrechen beteiligt sein würde
- Ablehnung durch BAMF, weil es keinen Verfolgungsgrund gegeben hätte (aufgrund verweigerten Wehrdienstes)
Essentials aus dem EuGH-Urteil
Die formelle Belegung dieser Verfolgungssituationen ist nicht erforderlich, um dennoch aus diesen Gründen als Flüchtling anerkannt zu werden. Lt. EuGH besteht eine starke Vermutung, dass alle o.g. Gründe zu einer Verfolgung führen.
Es ist dann jedoch nicht Aufgabe des Antragstellers, diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund nachzuweisen, sondern nur plausibel zu belegen. Es wäre dann die Aufgabe des BAMF, dies zu prüfen und ggfls. zu widerlegen.
Antragstellung
Ein Folgeantrag muss grundsätzlich persönlich gestellt werden. Dies kann auch durch persönliche Übergabe eines entsprechenden Schreibens beim BAMF erfolgen. Aufgrund der aktuellen Corona-Lage bitte ggfls. bei der entsprechenden BAMF-Außenstelle informieren, ob eine persönliche Vorsprache möglich und nötig ist.
Lt. BAMF ist noch mind. bis 31.01.2021 eine schriftliche Antragstellung bei einem Folgeantrag möglich.
Dazu bitte auch § 71 Abs. 2 AsylG hinsichtlich der zuständigen Außenstelle beachten:
(2) Der Ausländer hat den Folgeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der er während des früheren Asylverfahrens zu wohnen verpflichtet war. Wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen hatte, gelten die §§ 47 bis 67 entsprechend. In den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder wenn der Ausländer nachweislich am persönlichen Erscheinen gehindert ist, ist der Folgeantrag schriftlich zu stellen. Der Folgeantrag ist schriftlich bei der Zentrale des Bundesamtes zu stellen, wenn 1.die Außenstelle, die nach Satz 1 zuständig wäre, nicht mehr besteht,2.der Ausländer während des früheren Asylverfahrens nicht verpflichtet war, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
§ 71 Abs. 2 AsylG
Chancenbeurteilung
Eine echte Einschätzung, ob und inwieweit dieses EuGH-Urteil und ein Folgeantrag tatsächlich zum Erfolg führt, lässt sich kaum abgeben. Denkbar wäre schon, dass das BAMF wie in anderen ähnlichen Fällen die grundsätzliche Umsetzung des Urteils ablehnt, obwohl dies eigentlich im konkreten Fall durch Vorlage durch ein deutsches Gericht nur bedingt denkbar erscheint.
Zudem: Ein Folgeantrag bezieht sich auf die aktuelle Situation in Syrien, nicht die zum Zeitpunkt des Asylantrages in 2017. Deshalb hierzu ggfls. auch noch einmal erneut vortragen.
Das BAMF hat im Dezember 2020 bereits seine Haltung zu diesem Urteil dargelegt. Es gibt auch ein erstes obergerichtliches Urteil vom VGH Baden-Württemberg dazu. Das BAMF sieht zusammengefasst keine Notwendigkeit, seine Praxis zu ändern.
Ausführliche Hinweise zu beidem haben wir im folgenden Artikel zusammengetragen:
Hinweise
Eine Verschlechterung eines bereits erteilten Status ist jedoch durch den Folgeantrag nicht möglich.
Und noch einmal deutlich: Dieses Urteil bedeutet keinen Automatismus. Es wird nichts von Amts wegen korrigiert oder geändert. Alte Bescheide werden nicht automatisch korrigiert, es gibt keinerlei Rückwirkung des Urteils.
Muster-Anträge/-Schriftsätze
Es bedarf zudem immer einer individuellen ausführlichen Begründung. Bereits aufgetauchte Musteranträge, die sich letztlich nur auf das Urteil an sich beziehen, sind dabei nicht hilfreich.
Wir haben hier die Muster-Schriftsätze von Pro Asyl verlinkt. Diese sind sehr ausführlich und zeigen auch die Argumentationskette aus dem o.g. beiden EuGH-Urteilen auf, weshalb nun ein Asylfolgeantrag zulässig ist. Daneben enthalten sie auch Platzhalter für die dringend erforderlichen individuellen Angaben und die Varianten innerhalb der Muster-Schriftsätze. Nur also ist eine vernünftige Antragstellung mit Erfolgsaussicht gewährleistet.
Zu beiden Muster-Schriftsätzen gelten diese Hinweise von Pro Asyl und die Ausfüllanleitung:
Antragstellung durch den Antragsteller selbst (docx):
Antragstellung durch RA/RAin (docx):
Hinweise zur Formulierung der Schriftsätze/Anträge
Der Paritätische hat eine detaillierte Arbeitshilfe zur Formulierung und den wichtigen Punkten in den Anträgen oder Schriftsätzen herausgebracht. Auf diese weisen wir ergänzend auch noch einmal dringend hin.
Die Arbeitshilfe kann man hier downloaden:
Weitere Informationsquellen
Pro Asyl
Verfassungsblog
EuGH
1 Gedanke zu „Folgeantrag nach EuGH-Entscheidung zu Syrern mit Kriegsdienstverweigerung“