Seit 2015 wird über einen neuen europäischen „Migrationspakt“ gestritten. Inzwischen liegen Vorschläge der Kommission vor. Diese sind nicht jedoch noch nicht verbindlich. Am Ende entscheiden die Staats- und Regierungschefs, aber sie sind dennoch wegweisend.
Alle Vorschläge sind dabei problematisch: Sie zementieren einerseits eine weitere hohe Belastung der Staaten an den Außengrenzen, führen ein 2-Klassen-Asylsystem ein, setzen Haftlager an den Grenzen voraus und verstoßen damit gegen elementare Grundrechte.
Es ist der Versuch, zwischen grundsätzlich aufnahmebereiten Ländern und denen, die dies komplett ablehnen, eine Art Ausgleich zu finden. Dabei werden aus unserer Sicht jedoch rechtliche Grundsätze völlig überdehnt oder missachtet oder jede Praktikabilität vernachlässigt.
Das zukünftige Verfahren soll nach den Vorstellungen der Kommission so aussehen:
„Screening“ an der EU-Außengrenze
Innerhalb von 5 Tagen sollen alle Menschen registriert, medizinisch untersucht und einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden. Dabei gelten die Menschen in dieser Phase rechtlich als „noch nicht in die EU eingereist“. Dabei soll auch die Schutzbedürftigkeit einerseits sowie andererseits eine Art „Fähigkeit“ zur Asylantragstellung festgestellt werden.
2-Klassen-System
Danach soll entschieden werden, ob jemand in einem „Asylgrenzverfahren“ als Schnellverfahren und im Lager an der Außengrenze verbleibt oder ein reguläres Asylverfahren erhält.
Asylgrenzverfahren
Menschen aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von 20% und weniger (Statistik auf EU-Ebene!) würden danach in einem „Asylgrenzverfahren“ landen, bei dem sie weiterhin als „nicht eingereist“ gelten. In Krisenzeiten, also bei besonders hohen Flüchtlingszahlen, könnte der 20%-Wert sogar noch deutlich angehoben werden.
Ziel des Grenzverfahrens ist dabei, Menschen formell gar nicht erst einreisen zu lassen, sondern dann nach einem Schnellverfahren sofort aus dem Grenzlager wieder abschieben zu können.
In diesem Fall dürfte das „Asylgrenzverfahren“ 12 Wochen dauern, woraufhin sich ein 12-wöchiges„Abschiebungsgrenzverfahren“ anschließt. Um die Möglichkeit, sich dem Verfahren durch „Flucht“ zu entziehen, zu verringern, werden diese Außenlager auch als Haftlager ausgestattet und gestaltet.
Klagen gegen eine Entscheidung im „Asylgrenzverfahren“ sollen dabei auf eine Instanz beschränkt werden und sichern damit nicht mehr die notwendige Rechtsstaatlichkeit im Asylverfahren, das tatsächlich ja noch nicht einmal begonnen wurde.
Um es an dieser Stelle kurz zu machen:
Man möchte bereits an der EU-Außengrenze, aber damit faktisch innerhalb der EU „Zulässigkeitsverfahren“ durchführen. Ist dieser jemand evtl. asylberechtigt in der EU?
Wenn nein, soll es um Abschiebungen und damit um Pushbacks gehen, die man formell rechtlich dadurch vermeiden will, dass man die Menschen als „noch nicht eingereist“ bezeichnet.
„Normales“ Asylverfahren & „Solidaritäts–Mechanismus“
Diejenigen Menschen, die nicht im Asylgrenzverfahren landen, sollen dann in der EU ein Asylverfahren durchlaufen. Formell sollen dabei die Erst-Einreise-Staaten, also weiterhin vor allem Griechenland, Italien und Spanien zuständig bleiben. Im Rahmen einer neuen Dublin-Verordnung soll es nach den Vorstellungen der Kommission nun jedoch einen europäischen Solidaritäts- Mechanismus geben.
Einfach formuliert sollen nun Menschen, die nicht im Grenzverfahren gelandet sind, innerhalb der EU nach einer noch festzulegenden Quote umverteilt werden. Ebenso sollen bereits anerkannte Flüchtlinge umverteilt werden.
EU-Länder, die an einer Verteilung nicht teilnehmen möchten, sollen sich nicht etwa (und wenigstens) über Geld freikaufen dürfen, sondern sollen so „Abschiebungspatenschaften“ übernehmen.
Staaten wie Ungarn oder Polen, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, sollen dann stattdessen ihre europäische Solidarität durch die Durchführung von Abschiebungen zum Ausdruck bringen können und sogar sog. „Abschiebe-Patenschaften“ übernehmen, bei denen dann z.B. Ungarn zentral für Abschiebungen nach z.B. Afghanistan zuständig sein würde.
Land A soll also 1.000 Menschen aufnehmen, Land B will das nicht und kümmert sich demnach um deren Abschiebung. Dabei kann sich der „Abschiebe-Pate“ noch aussuchen, ob wer sich auf ein bestimmtes Herkunftsland spezialisieren will.
Leistungsausschluss bei Weiterwanderung
Gleichzeitig möchte man nun auch auf EU-Ebene, Sekundärmigration, also eine Weiterreise von z.B. Griechenland nach Frankreich oder Deutschland bekämpfen. Sozialleistungen sollen deshalb im anderen Land ausgeschlossen und ausschließlich auf das Einreiseland begrenzt sein.
Gleichzeitig würde eine erneute Asylantragstellung oder auch eine erstmalige nach Weiterwanderung nun ausgeschlossen sein. Stattdessen sollen diese Menschen hier ohne jeden Leistungsanspruch sein. Dauerhaft zuständig soll das Land bleiben, in dem der Asylantrag gestellt wurde, also entweder ein Grenzstaat wie Griechenland oder ein anderes Land, das nach Umverteilung zuständig geworden ist.
Fazit
Um es kurz und prägnant zu machen: Wir sprechen bei den Vorschlägen der EU-Kommission in weiten Teilen nicht mehr über noch heute geltende rechtsstaatliche Verfahren. Die Idee zu VOR- Verfahren an der Außengrenze sind und bleiben absurd. Die Realität in Moria, das ja seinerzeit als „Hotspot“ bereits ähnliche Verfahren leisten sollte, zeigt dies deutlich.
Gleichzeitig werden diese Lager als Haftlager ausgestaltet werden müssen. Zudem bedient man sich eines rechtlichen Tricks, um über die Nichteinreise-Fiktion formal pushbacks zu rechtfertigen. In der Realität würden Menschen entweder ohne oder mit einem stark verkürzten Asylverfahren wieder abgeschoben. Rechtsmittel werden dazu stark begrenzt und eingeschränkt.
Wie man, ausgehend vom vorhin genannten Beispiel, rechtlich und auch faktisch einen in Deutschland abgekehrten Asylbewerber aus Afghanistan dann nach Ungarn bringen und von Ungarn abschieben will, ist völlig unklar und verstößt ebenso wie ein völliger Leistungsausschluss gegen jeden deutschen Rechtsgrundsatz und auch Menschenrechte.
Abgesehen hiervon ist schon jetzt völlig klar, dass Lager wie Moria auch mit EU-Unterstützung, die es dort seit 2016 bereits gibt, in der Realität nicht funktionieren und keine fairen Asylverfahren ermöglichen würden. Die zusätzliche Verkürzung von elementaren Rechtsmitteln kommt noch hinzu.
Wie erwähnt sind die Vorschläge der Kommission nicht die Regeln, die tatsächlich umgesetzt werden. Tatsächlich entscheiden am Ende die Staats- und Regierungschefs. Die Vorschläge sind jedoch eine wesentliche Grundlage für eine zukünftige europäische Asylpolitik. Nach unserer Auffassung sind sie jedoch weder eine rechtlich saubere Lösung, noch praktisch umsetzbar. Stattdessen werden elementare Menschen- und Grundrechte verletzt.
Christian Lüder, Berlin hilft
Zuerst erschienen im Newsletter KoordFM Flüchtlingsmanagement