Libyen: Kein sicherer Hafen, sondern “KZ-ähnliche Verhältnisse”

 

 

Man ist erstaunt, aber noch immer wird Libyen als sog. „sicherer Hafen“ in sozialen Medien diskutiert, wenn es um Seenotrettung geht. Dabei ist dies eine Frage, die nachhaltig geklärt ist: Libyen ist kein “sicherer Hafen”!

 

Bereits 2017 hat das Auswärtige Amt in einem zunächst geheimen Bericht von den katastrophalen Zuständen in Libyen berichtet. 

Vor einiger Zeit wurde das Dokument mit Schwärzungen veröffentlicht. Deshalb hier noch einmal die zwar alle bekannten, aber wichtigsten Zitate aus diesem Bericht, die die Zustände in Libyen beschreiben.

Damit dürfte klar sein, dass Libyen nicht als sicher angesehen werden darf. 

 

Zitate aus dem Lagebericht vom Auswärtigen Amt:

 

Die Erfahrungsberichte zurückgekehrter Migranten zeichnen ein erschütterndes Bild allerschwerster, systematischer Menschenrechtsverletzungen in Libyen. Authentische Handy­ Fotos und -videos belegten die KZ-ähnlichen Verhältnisse in den sog. “Privatgefängnissen”.

Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung. …..

Übereinstimmend wurde von brutalster Gewalterfahrung durch Schlepper und insb. in den illegitimen Gefängnissen Libyens berichtet. Die oft betrunkenen Fahrer, die bis zu 30 Personen auf den pick-ups zusammenpferchen, würden in der Regel nicht anhalten, wenn jemand in der Wüste vom Fahrzeug fällt. Zur Verdeutlichung der Situation während der Reise wurden den Verfassern ein Video von verfärbten Leichen gezeigt, die rings um einen liegengebliebenen Truck verteilt lagen.

Sobald ein Migrant festgesetzt wird, sei Folter und Erpressung an der Tagesordnung. Wer innerhalb einer bestimmten Zeit nicht zahlen oder kein Geld von seiner Familie beschaffen kann, würde erschossen. Augenzeugen sprachen von exakt 5 Erschießungen wöchentlich in einem Gefängnis – mit Ankündigung und jeweils Freitags, um Raum für Neuankömmlige zu schaffen, d.h. den menschlichen “Durchsatz” und damit den Profit der Betreiber zu erhöhen.

Die Migranten zeigten den Verfassern Bilder von schwerst misshandelten Menschen und berichteten von regelmäßigen Vergewaltigungen beiderlei Geschlechts. Auch wurden den Verfassern die eigenen Folterspuren am Körper gezeigt.

 

 

Das UNHCR berichtet immer wieder von grauenhaften Zuständen in libyschen Lagern. Hierzu schreibt und zitiert die FR am 06.07.2018:

 

Diejenigen Flüchtlinge, die Libyen auf dem Weg zum Mittelmeer durchquerten, seien häufig in der Hand von Schleusern, die nicht nur Frauen vergewaltigten, sondern auch Männer und Kinder, betonte der UNHCR-Verantwortliche für Libyen. Die Schleuser hielten Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten häufig in unterirdischen Gefangenenlagern versteckt.

Mit Blick auf die von Italien und Malta verfügten Anlege-Verbote für private Rettungsschiffe betonte der UNHCR-Verantwortliche für Südeuropa, Felipe Camargo, Libyen sei „kein sicherer Hafen“ für gerettete Bootsflüchtlinge. Die libyschen Behörden bemühten sich zwar, die Lebensbedingungen in den geschlossenen Lagern für Migranten zu verbessern. Aber UNHCR-Mitarbeitern gegenüber hätten Insassen auch von Misshandlungen berichtet.

Insgesamt befinden sich den Angaben zufolge derzeit rund 50.000 Flüchtlinge in Libyen, die laut UNHCR Anrecht auf Asyl oder einer anderen Form des internationalen Schutzes haben.

 

Eine ganz aktuelle Analyse liefert Paul Ronzheimer in der Bild. Unter dem Titel “Das Problem sind NICHT die Seenotretter” sagt er aus eigenem Wissen dazu:

Ich war als Reporter in den vergangenen Jahren mehrfach in Libyen. Es braucht keine Luftangriffe, um zu erkennen, in welch schlimmer Lage die Flüchtlinge dort sind. Selbst die offiziellen, die „guten“ Internierungslager, sind in einem dramatischen Zustand: Flüchtlinge sitzen dort eingepfercht wie Tiere, es gibt keine Toiletten, zu wenig Wasser, Krankheiten breiten sich aus.

Noch dramatischer ist das, was Flüchtlinge bei Schleppern erleben: Gewalt, Vergewaltigungen, sogar Sklaverei findet statt.

Auch das Argument, die Seenotretter würden Flüchtlinge erst motivieren, auf Boote zu gehen, ist absurd. Wenn ich mit Menschen in Libyen spreche, dann wollen sie nur eins: Raus aus dem Land! Sie haben schon so viel erlebt, dass ihnen das Risiko auf dem Meer noch als das geringste Übel erscheint.

 

Ebenso frisch sind die Berichte zum wieder aufgeflammten Bürgerkrieg in Libyen. Dabei kam es auch zu Bombardierungen von Lagern, in denen Flüchtlinge eingesperrt sind. Über die Lage in Libyen insgesamt und auch die der Flüchtlinge berichtet die ZEIT am 05.07.2019:

 

Und die Flüchtlinge? Inzwischen versuchen weniger über das Mittelmeer überzusetzen. Jedoch sind Abertausende seither in den restlos überfüllten und vermüllten Internierungslagern gelandet, ohne ausreichend Nahrung, ohne medizinische Versorgung. Die Flüchtlinge sind der Gewalt der Milizionäre ausgeliefert. Überlebende des Luftangriffs auf Tadschura berichten, ihre Bewacher hätten sie gezwungen, in einem Waffenlager der Miliz Gewehre und Granatwerfer zu säubern. Derzeit befinden sich nach UN-Angaben rund 3.300 Flüchtlinge in Camps nahe der Front. Nach Beginn der Offensive Haftars war die Zahl der Fluchtversuche über das Mittelmeer zuletzt auch wieder gestiegen. Womöglich auch, weil Milizen und Menschenschmuggler angesichts der zunehmend bedrohlichen Lage in Tripolis von Angehörigen der Flüchtlinge zusätzlich Geld erpressen können, um diese dann in ein überfülltes Schlauchboot zu verfrachten.

Nach dem Luftangriff auf Tadschura, so berichten NGOs vor Ort, herrsche unter den Flüchtlingen absolute Panik. 
Was passiert, wenn die Regierung von Fajis al-Sarradsch und ihre Milizen wie angekündigt einige der Camps schließen? Die Freigelassenen würden vermutlich alles daransetzen, aufs Meer zu kommen. Die UN fordern humanitäre Korridore, um sie in Sicherheit zu bringen – in ihre Heimatländer oder nach Europa. Die EU müsste gegebenenfalls eine robuste Mission zur Seenotrettung starten, ähnlich wie Operation Mare Nostrum der italienischen Marine 2013 und 2014. Derzeit ist das aber für Europa nur eine völkerrechtliche Minimalia, die als verzichtbar gilt.

 

Die sogenannte “Küstenwache” ist in vielen Fällen eine der Milizen und eben keine staatliche. Flüchtlinge berichten, dass die Besatzung auf den Schiffen dieser Miliz-Küstenwache” identisch sind mit Wärtern in den Lagern.

Seenotrettungsorganisationen berichten auch mit Videos belegt, dass die Miliz-Küstenwache” in vielen Fällen gar nicht ausgerüstet ist und auch teilweise fast teilnahmslos neben Schiffbrüchigen steht.

Besonders deutlich und drastisch zeigt dies ein Video, das die New York Times veröffentlichte. Wir zeigen hier das Original-Video:

 

 

Mit deutschen Untertiteln gibt es das gleiche Video auch via SPIEGEL. Titel: “Es war Mord”.

 

 

Non-Refoulement

 

Gefestigt und durchgängig belegt ist das sogenannte “Non-Refoulement, also des Refoulement-Verbotes. Hierbei geht es darum, dass niemand in Länder gebracht werden darf, die nicht vor Verfolgungen schützen oder sogar das Leben, die Gesundheit oder die Rechte des jeweiligen Menschen beeinträchtigen, schädigen und nicht schützen.

Aus einem der vielen wissenschaftlichen Gutachten des Bundestages zitieren wir die Definition dazu:

 

Inhalt des Refoulement-Verbots

Nach Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)16 darf kein Vertragsstaat einen Flüchtling in Gebiete aus- oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde (sogenannte Grundsatz des non- refoulement). Neben Art. 33 GFK wird das Refoulement-Verbot explizit in Art. 3 der VN-Anti- folterkonvention (CAT) sowie in Art. 19 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta garantiert. Überdies ergibt es sich indirekt aus Art. 7 des internationalen Zivilpakts (IPBPR) und aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) verbietet der Grundsatz des non-refoulement die Ausweisung oder Abschiebung in einen ande- ren Staat, wenn es ernsthafte Gründe für die Annahme gibt, dass der Ausländer dort – oder durch die weitere (Ketten-)Abschiebung in einen anderen Staat – einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, gefoltert, unmenschlich behandelt bestraft oder getötet zu werden.

Das Rückschiebeverbot gilt auch für jene Gegenden, wo eine konkrete Gefahr für Leib und Leben des Flüchtlings durch eine Bürgerkriegssituation besteht.

Weiter erläuternd möchten wir auf unseren eigenen Artikel verweisen, in dem wir auf das hierzu einschlägige Urteil des EGMR Hirsi gegen Italien verwiesen und die Grundsätze des Non-Refoulements

 

 

Fazit:

Zusammengefasst ist es völlig absurd, dass gefordert wird, Menschen nach Rettung aus Seenot nach Libyen zurückzubringen. Die Gefahr, der die Menschen dort ausgesetzt sind, ist ebenso hoch wie auf dem Mittelmeer.

Es ist in vielen Fällen weder eine eigene Entscheidung, auf ein unzureichendes seeuntüchtiges Boot zu gehen, sondern eine Methode der Milizen, Menschenhändler und Schlepper in Libyen, die Menschen auf die Boote zu zwingen. Es wird auch von Erschießungen berichtet, wenn sich Menschen weigerten,. die Boote zu besteigen.

Finanziert wird damit auch der Bürgerkrieg in Libyen.

 

 

Links und Quellen:

 

Link zum Bericht des Auswärtigen Amtes

 

Download des Berichtes

aa-libyen-teilgeschw

 

Quellen zu Rechtsgrundlagen grundsätzlicher Art und wissenschaftlichen Analysen