Am morgigen Weltflüchtlingstag verhandeln Bundesregierung und Bundesländer wie auch die Innenministerkonferenz über die Asylagerung von Asylverfahren in Drittstaaten, aber mit deutlicher Vehemenz auch zu Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien. In weiten Teilen symbolpolitische Diskussionen verschieben zwar den Diskurs immer weiter nach rechts und setzen letztlich auch völlig falsche Erwartungen und uneinlösbare Versprechen, helfen jedoch realpolitisch bei keiner einzigen Frage, die ebenso real durch 1,5 Mio Geflüchtete in Deutschland in 2022 und 2023 entstanden sind oder in vielen Fällen schlicht nur einfach weiter verschärft wurden.
In beiden grundsätzlichen Fragen – Drittstaatsverfahren wie auch Abschiebungen in Terrorländer – müsste die Antwort eindeutig negativ ausfallen. Wir fordern deshalb ein klares Bekenntnis dazu, um auch endlich die Chance zu nutzen, zu einer werteorientierten und realistischen Politik zurückzukehren.
Der offene Brief
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
sehr geehrte Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten,
Menschlichkeit ist sowohl in Deutschland als auch in Europa die Basis unseres Zusammenlebens. Sie
zu schützen ist unsere gesellschaftliche Pflicht. Dazu gehört auch: Die unbedingte Achtung der
Menschenwürde. Sie steht aus gutem Grund seit 75 Jahren in unserem Grundgesetz und gilt für alle
Menschen, egal woher sie kommen.
Ausgerechnet am Weltflüchtlingstag beraten Sie die Idee der Auslagerung des Flüchtlingsschutzes aus
Deutschland und Europa in Drittstaaten. Wir, 309 Organisationen und Initiativen, möchten Teil einer
Gesellschaft sein, die geflüchtete Menschen menschenwürdig aufnimmt. Wer Schutz bei uns in
Deutschland sucht, soll ihn auch hier bekommen. Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht.
Bitte erteilen Sie Plänen zur Auslagerung von Asylverfahren eine klare Absage.
Als im Flüchtlingsschutz aktive Organisationen und Initiativen wissen wir: Aufnahme und Teilhabe
funktionieren, wenn alle an einem Strang ziehen und der politische Wille vorhanden ist. Vor den
derzeitigen Herausforderungen verschließen wir dabei nicht die Augen. Wir begegnen ihnen vielmehr
mit konstruktiven, praxisnahen und somit tatsächlich realistischen Vorschlägen für eine zukunftsfähige
Aufnahme. Dafür setzen wir uns jetzt und auch zukünftig mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften
ein – gerade auch auf kommunaler Ebene.
Pläne, Flüchtlinge in außereuropäische Drittstaaten abzuschieben oder Asylverfahren außerhalb der
EU durchzuführen, funktionieren hingegen in der Praxis nicht, sind extrem teuer und stellen eine Gefahr
für die Rechtsstaatlichkeit dar. Sie würden absehbar zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen,
wie pauschale Inhaftierung oder dass Menschen in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen
menschenunwürdige Behandlung oder Verfolgung drohen. Bei Geflüchteten lösen solche Vorhaben oft
große Angst aus und erhöhen die Gefahr von Selbstverletzungen und Suiziden. Dies gilt gerade für
besonders schutzbedürftige Geflüchtete wie Menschen mit Behinderung, Kinder, queere Menschen,
Überlebende von Folter oder sexualisierter Gewalt. Das zeigen uns die Erfahrungen der letzten Jahre,
etwa das Elend auf den griechischen Inseln als Folge der EU-Türkei-Erklärung.
Aktuell leben drei Viertel der geflüchteten Menschen weltweit in Ländern mit niedrigem und mittlerem
Einkommen. Setzen Sie sich deswegen für eine glaubhafte, nachhaltige und gerechte globale
Verantwortungsteilung im Flüchtlingsschutz ein.
Wir sind uns sicher: Realistische und menschenrechtsbasierte Politik stärkt den gesellschaftlichen
Zusammenhalt. Dass Anfang des Jahres so viele Menschen wie noch nie in Deutschland auf die Straße
gegangen sind, um ein Zeichen für eine offene und diverse Gesellschaft und gegen Rechtsextremismus
zu setzen, macht uns Mut. Eine zukunftsfähige Gesellschaft braucht Vielfalt, Offenheit und ein
konsequentes Einstehen für Menschenrechte – für alle.