Heute haben sich SPD, Grüne und Linke in Berlin geeinigt, die gemeinsamen Sondierungen abzuschließen und in Koalitionsverhandlungen zu gehen. Hierzu gibt es nun ein sog. Eckpunktepapier, das die Ergebnisse der Sondierungen zusammenfasst.
Der SPD-Vorstand hat die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen bereits beschlossen. Die Linken wollen dies am Sonntag tun, die Grünen am Montag.
Bezogen auf die migrantische und soziale Stadt Berlin hier die Aussagen im Eckpunktepapier, die wir dazu gefunden haben:
Eckpunktepapier
Wohnungsbau & Mieten
Es gibt ein klares Bekenntnis, den Wohnungsneubau in der Stadt mit höchster Priorität voranzubringen, um der Zielsetzung des Neubaus von 20.000 Wohnungen im Jahr zu entsprechen. Dafür wird der „Stadtentwicklungsplan Wohnen“ überarbeitet, mit dem Ziel, Möglichkeiten auszuloten, um zusätzliche Wohnungsbaupotenziale zu erschließen. Wir bekennen uns zum „Urbanen Bauen“ auch über die bisherige Traufhöhe hinaus. Im Ergebnis soll die Zielzahl von mindestens 200.000 Wohnungen bis 2030 konkret mit Stadtquartieren und Wohnungsbaupotenzialen untersetzt werden.
Es wird ein Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen ge- gründet, das die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die Genossenschaften und die privaten Wohnungsunternehmen einbezieht, um Wohnungsbauvorhaben konsequent voranzutreiben. Wir setzen dabei auf das Prinzip Kooperation statt Konfrontation.
Ziel des Bündnisses ist es auch, für bezahlbare Mieten im Bestand zu sorgen, um die soziale Mischung in der Stadt zu erhalten und Verdrängung entgegenzuwirken. Wir setzen uns im Land und im Bund für einen konsequenten Schutz der Mieterinnen und Mieter ein. Das bezieht sich auch auf Gewerbemieten und bedrohte sozial-kulturelle Räume. Ein für einen befristeten Zeitraum geltendes Mietenmoratorium, das auf Bundesebene möglicher- weise geschaffen wird, setzen wir in Berlin konsequent um. Alle bestehenden Instrumente zum Mieterschutz werden wir weiterhin nutzen.
Enteignen
Die neue Landesregierung respektiert das Ergebnis des Volksentscheides und wird verantwortungsvoll damit umgehen. Sie setzt eine Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens ein. Die Besetzung der Expertenkommission erfolgt unter Beteiligung der Initiative des Volksbegehrens. Die Kommission erarbeitet innerhalb eines Jahres eine Empfehlung für das weitere Vorgehen an den Senat, der dann eine Entscheidung darüber trifft.
Arbeit
Wir wollen Jugendlichen Teilhabechancen und Zukunftsperspektiven auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen. Deshalb wollen wir eine Ausbildungsplatzgarantie umsetzen.
Soziales
Sozialer Zusammenhalt stärkt unsere Stadtgesellschaft. Soziale Sicherheit verstehen wir als Grundbedürfnis aller Berlinerinnen und Berliner. Wir stehen für die Sicherung sozialer Infrastruktur und die Weiterentwicklung der Stadtteilzentren. Einen besonderen Fokus legen wir auf die Bekämpfung von Kinderarmut und Altersarmut. Wir wollen Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit beenden und Betroffenen eine menschenwürdige Perspektive eröffnen. Wir knüpfen an den Berliner Masterplan zur Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 und innovative Konzepte wie „Housing first“ an. Darüber hinaus berücksichtigen wir die Notwendigkeit der psychosozialen Versorgung insbesondere auch von traumatisierten Geflüchteten.
Verwaltung
Wir wollen eine Verwaltungsreform angehen, die Prozesse und Verfahren vereinfacht und beschleunigt und Zuständigkeiten zwischen Land und Bezirken klar regelt.
Vielfalt
Vielfalt ist Stärke und Markenzeichen Berlins. Berlin ist eine Einwanderungsstadt und Zufluchtsort. Auch in den nächsten Jahren werden wir an einem vielfältigen Berlin arbeiten, in dem alle Menschen frei, selbstbestimmt, ohne Diskriminierungen und Angst leben können. Wir werden die politische und gesellschaftliche Teilhabe aller hier lebenden Menschen fördern und Einbürgerungen zentral und mit beschleunigten Verfahren organisieren.
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Zusammenfassung
Der Zufall will es, dass heute gleichzeitig die Sondierungsergebnisse für die neue Bundesregierung wie auch für die Fortsetzung der Koalition auf Landesebene veröffentlicht wurden.
Zum Bund war das Urteil „viel Luft nach oben“. Auf Landesebene muss man dann wohl sagen: „Sehr sehr viel Luft nach oben“. Ein paar herausgestellt Punkte:
Die Ziele im Wohnungsbau sind richtig, aber auch sehr ambitioniert. Einerseits will man 20.000 Wohnungen pro Jahr neu bauen, andererseits sollen es 200.000 Wohnungen bis 2030 werden, was letztlich auf 8 Jahre gerechnet 25.000 Wohnungen im Neubau entspricht.
Die 1. Frage ist, wo diese Wohnungen gebaut werden sollen, wer dies tut und wie 2. ein Ergebnis erreicht wird, dass diese Wohnungen auch tatsächlich dem Berliner Mietermarkt helfen und nicht wie gefühlt 80% aller Neubauten im Moment für 90% aller BerlinerInnen gar nicht nutzbar sind, weil entweder viel zu teuer, gar keine Mietwohnungen oder mit 2 Zimmern auf 110 qm etwas ungünstig geschnitten sind.
Die Beendigung der Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 ist dabei ein sehr konkretes Ziel und ebenso ambitioniert, wenn man bedenkt, dass bei insgesamt rd. 50.000 Menschen, die in Berlin offiziell obdach- oder wohnungslos sind, alleine für diese Gruppe geschätzt rd. 15.000 Wohnungen benötigt werden.
Aber gerade dieses Ziel ist auch absolut zu befürworten und zu unterstützen. Im Ergebnis könnten dann in sehr weiten Teilen Flüchtlingsunterkünfte und sog. ASOG-Unterkünfte geschlossen werden, wenn die Menschen in Wohnungen untergebracht werden können.
Die Einsetzung einer Expertenkommission zum Volksentscheid ist ein typischer Formelkompromiss, um etwas nicht zu tun, ohne es zu lassen. Es ist gar nicht wichtig, wie man zum Volksentscheid inhaltlich stehen mag, aber selbstverständlich ist er ein massiver Auftrag an die Regierenden.
Natürlich kann man eine Kommission einsetzen, die darüber berät. Unklar bleibt jedoch, was diese Kommission tatsächlich beraten soll: Den Inhalt eines Enteignungs-Gesetzes? Die Frage der Verfassungsmäßigkeit? Eine rechtssichere Ausgestaltung? Alternativen zur Enteignung? Andererseits kann eine solche Kommission auch insofern problemlos tagen, da ohnehin eine Vorlage eines Gesetzes zum Volksentscheid alleine durch die Verwaltung und die Diskussion in allen Gremien Mitte 2023 erwartbar wäre, wenn man es denn sofort beginnt, umzusetzen.
Die grundsätzliche Frage wird dabei sein, ob und ggfls wie das Land Berlin nach dem Mietendeckel ein zweites, inhaltlich wichtiges, soziales Projekt mit völlig offenem rechtlichen Hintergrund umsetzen will.
Pläne und Ideen zu einer wie auch immer gearteten Deckelung oder Begrenzung von Bestands-Mieten sind im Eckpunktepapier nur insoweit vorgesehen, dass man ein bisher noch nicht einmal konkret formuliertes Mietenmoratorium übernehmen möchte, wenn es denn auf Bundesebene geschaffen wird.
Keine Regelungen sind jedoch bisher zum Thema Flucht und Asyl zu finden. Weder das Ziel nach Ausschöpfung aller landesrechtlichen Möglichkeiten im Aufenthaltsrecht findet sich bisher noch etwa geplante Bleiberechtsregeln, Aufnahmeprogramme o.ä.
Auch das wichtige Thema der Fortführung von Strukturen aus Masterplan und Gesamtkonzept sind nicht erwähnt, auch nicht deren Überführung in die berühmte Regelstruktur.
Man hätte auch die beschleunigte Umsetzung der sog. Gesamtstädtischen Steuerung benennen können, die wichtig ist, um den o.g. Masterplan zur Obdachlosigkeit umzusetzen.
Zugang zu Bildungssystemen bzw die besonderen Anforderungen bei der Bildung für Geflüchtete und auch andere sog. „Sozial Benachteiligte“ finden sich nicht. Mehrsprachige Verwaltung wird benannt, aber noch viel mehr als hier stellt sich diese Frage im Gesundheitssystem, bei dem Sprachmittlung auf offiziellem Wege so gut wie nicht vorkommt.
Natürlich gilt auch hier, dass es nur ein Eckpunktepapier ist, kein Koalitionsvertrag. Dennoch wären ein paar wenige weitere Aussagen auch hier schon wichtig gewesen.
Das mit Abstand dickste Brett wird jedoch grundsätzlich sein, wie man letztlich eine Verwaltungsreform zur Zuständigkeit und Verantwortlichkeit zwischen Senat und Bezirken angeht und umsetzt. Wer sich die Prozesse und Zuständigkeiten, die Wirrungen und Irrungen dabei, anhand einiger konkreter Projekte der letzten Jahre anschaut oder sie kennt, weiss was das für ein schweres, aber zwingendes Zukunftsprojekt ist.