Entgegen der bisherigen Praxis in Berlin steht auch Menschen mit einer Ausbildungsduldung ein Wohnberechtigungsschein (WBS) zu, wenn die Ausbildungsduldung noch mind. 12 Monate Geltungsdauer hat.
Ein wichtiges Urteil zur Erteilungspraxis für einen Wohnberechtigungsschein (WBS) ist Ende Juni vor dem Verwaltungsgericht ergangen. Dies stellt klar, dass der für die Erteilung eines WBS notwendige gesicherte Aufenthalt in Deutschland auch durch eine Ausbildungsduldung begründet werden kann und nicht nur durch eine Aufenthaltserlaubnis, die bisher regelmäßig als einzige Basis hierfür herangezogen wurde, wenn sie noch mind. 12 Monate Gültigkeit besitzt (VG Berlin VG 8 K 202.18 vom 28.06.2019).
Maßgeblich dafür ist erst einmal das Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG), das in § 5 bestimmt, dass der WBS mit einer Geltungsdauer von einem Jahr ausgestellt wird. Ebenso ist gesetzlich geregelt, dass antragsberechtigt gemäß Satz 2 dieser Vorschrift Wohnungssuchende sind, die „sich nicht nur vorübergehend im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten und die rechtlich und tatsächlich in der Lage sind, für sich und ihre Haushaltsangehörigen auf längere Dauer einen Wohnsitz als Mittelpunkt der Lebensführung zu begründen und dabei einen selbstständigen Haushalt zu führen.“
Die Erteilungsdauer des WBS für ein Jahr ist demnach die gedankliche Grundlage für eine aufenthaltsrechtliche Grundlage, die dieses auch tatsächlich ermöglicht. Deshalb geht die Rechtsprechung und die Senatsverwaltung von einer noch mind. 11-monatigen Restlaufzeit einer Aufenthaltserlaubnis zur WBS-Erteilung aus.
Im konkreten Fall wurde die Klage zwar abgewiesen, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung die Laufzeit mit noch mind. 11 Monaten bei der Ausbildungsduldung nicht mehr gegeben war.
Das Gericht stellte allerdings fest, dass zum Zeitpunkt der Beantragung des WBS die Restlaufzeit der Duldung dies noch erfüllt habe und demnach die Versagung rechtswidrig war.
Festgestellt wurde zudem, dass das Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) keine Aussagen dazu treffe, welche konkrete Anforderungen erfüllt sein müssen:
Das WoFG enthält keine Regelung dazu, welche aufenthaltsrechtlichen Anforderungen Ausländer erfüllen müssen, um zum Kreis der Antragsberechtigten nach § 27 Abs. 2 Satz 2 WoFG zu gehören. Ob eine Duldung eine rechtliche Wohnsitznahme ermöglicht, ergibt sich nicht aus dem Wortlaut von § 27 Abs. 2 Satz 2 WoFG („Grammatische Auslegung“). Die Vorschrift verlangt nach ihrem Wortlaut auch keine Aufenthaltserlaubnis und schließt damit die rechtliche Möglichkeit einer dauerhaften Wohnsitznahme durch geduldete Ausländer nicht von vornherein aus.
Das Verwaltungsgericht verneint zwar weiter, dass Menschen mit Aufenthaltsgestattung oder „normaler“ Duldung antragsberechtigt wären, bestätigt hingegen aber einen Anspruch für Menschen mit Ausbildungsduldung.
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Die Ausbildungsduldung ist ein Sonderfall der Duldung, weil sie eine rechtliche, nämlich gesetzliche Billigung des Aufenthalts bewirkt, ohne diesen dem dem Aufenthaltsgesetz zugrunde liegenden Regelungssystem entsprechend zu erlauben.
Die Ausbildungsduldung verwischt nämlich den aufenthaltsrechtlichen Unterschied zwischen Duldung und Aufenthaltserlaubnis.
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Für die Beurteilung der rechtlichen Möglichkeit der Wohnsitzaufnahme im Sinne von § 27 Abs. 2 Satz 2 WoFG kommt es auf die aufenthaltsrechtliche Differenzierung von Ausbildungsduldung und Aufenthaltserlaubnis nicht an. Aus der Gesetzbegründung des Integrationsgesetzes (BT-Drs. 18/8615 S. 26, 48) ergibt sich, dass die Ausbildungsduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG den Zweck verfolgt, dem Ausländer und dem Ausbildungsbetrieb Rechtssicherheit für die Zeit der Ausbildung verschaffen. Da die Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG für die Dauer der Ausbildung erteilt wird, sich an den Abschluss der Berufsausbildung eine Verlängerung gemäß § 60a Abs. 11 AufenthG zur Arbeitssuche bzw. die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung (§ 18a Abs. 1 Nr. 2 bis 7 AufenthG) anschließt, ist der durch sie rechtlich gebilligte Aufenthalt auch auf längerer Dauer angelegt. Insofern sieht die Ausbildungsduldung den von der Rechtsordnung im Übrigen missbilligten „Spurwechsel“ ausdrücklich vor (vgl. Röder / Wittmann, ZAR 2017 S. 345, 351).
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil die Berufung aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen wurde.
Dennoch setzt es Maßstäbe auch rechtlicher Art, wenn nach dem Tenor des Urteils festgestellt wird, dass es keine rechtliche Definition gibt, die besagt, was konkret Voraussetzung für eine Antragsberechtigung für einen WBS ist.
Für die Ausbildungsduldung (und damit auch die zukünftige Beschäftigungsduldung) ergibt sich dies aus der Grundanlage des begründenden Gesetzes. Das Integrationsgesetz, das hier noch die Basis war, sagt im übrigen hierzu nichts anderes als es das neue Duldungsgesetz tut, das zukünftig die Ausbildungsduldung neu regelt.
Bei Ausbildungs- wie auch Beschäftigungsduldung handelt es sich um den gleichen Charakter von aufenthaltsrechtlichen Vorschriften, die den rechtlichen Unterschied zwischen Duldung und Aufenthaltserlaubnis verwischen.
Die Berliner Politik ist ohnehin gerade mit Neuregelungen zum Kreis derer, die den WBS beantragen dürfen beschäftigt. Ein Thema sind dabei auch Menschen mit Ausbildungsduldung. Wir haben hierzu auch entsprechende Vorschläge gemacht.
Insofern griff das Urteil dem vor. Hilfreich wäre nun aber, wenn seitens des betroffenen Bezirksamtes vor dem Hintergrund einer ohnehin geplanten Neuregelung keine Berufung eingelegt würde und damit dieses Urteil rechtskräftig würde. Damit wäre zumindest schon einmal an dieser Stelle eine Rechtsgrundlage für zukünftige Fälle gegeben, ohne, dass dies erst politisch gelöst werden muss.
(Urteil Verwaltungsgericht Berlin VG 8 K 202.18 vom 28.06.2019)