Im Bundestag wurde vergangene Woche eine schon länger geplante Erweiterung des Asylgesetzes um Pflichten zur Mitwirkung beschlossen. Hier geht es insbesondere um Widerrufsverfahren, die nach einem bzw. drei Jahren nach jeweiliger Anerkennung erfolgen.
Besondere Zielgruppe bzw. Auslöser dieser Änderung sind die Menschen, die 2015 bzw. Anfang 2016 im schriftlichen Verfahren anerkannt wurden und bei denen es – nach Meinung des BANF und auch der beschließenden Politik – keine hinreichende Sicherheit zur Identitätsfeststellung gab. Doch dazu später mehr.
Neu eingefügt wurde der Absatz 3a im § 73 AsylG. Hiernach besteht nun eine Verpflichtung zur Mitwirkung beim Widerrufsverfahren, die es vorher gar nicht gab. Die neuen Pflichten definieren sich dabei wie folgt.
- den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden die erforderlichen Angaben mündlich und nach Aufforderung auch schriftlich zu machen;
- seinen Pass oder Passersatz den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen;
- alle erforderlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, die in seinem Besitz sind, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen;
- im Falle des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder Passersatzes an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken und auf Verlangen alle Datenträger, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen;
- die vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu dulden.
Diese Pflichten galten bisher nach § 15 AsylG bereits zwar IM Asylverfahren, sind nun aber auch verpflichtende Mitwirkungen im Wirderrufsverfahren, wenn das BAMF hierzu auffordert.
Hintergrund sind die vor allem in 2015 und bis Anfang 2016 durchgeführten schriftlichen Verfahren, die zur Beschleunigung der Bearbeitung beim BAMF dienen sollte.
Schriftliche Verfahren wurden damals allerdings ohnehin nur bei Menschen aus Syrien, Eritrea und bei einigen Minderheitengruppen aus dem Irak durchgeführt. Zudem setzten schriftliche Verfahren eine geklärte Identität voraus. War diese nicht gegeben, konnte und wurde auch damals schon vom schriftlichen Asylverfahren in ein ganz reguläres Verfahren gewechselt.
Zudem muss man darauf hinweisen, dass auch unionsrechtlich die Mitwirkungspflichten relativ enge Grenzen haben. Insbesondere sieht die Qualifikations-RL die Beweislast bei den jeweiligen Staaten. Aber unabhängig davon ist in jedem Fall und auch vorher bereits geregelt, dass bei falschen Angaben und falschen Identitäten Widerrufe erfolgen konnten und können.
Zu den Auswirkungen auf die Praxis möchten wir auf einige Ausführungen der Stellungnahme des RAV in der Anhörung zur Gesetzgebung verweisen. Diese erklären sehr anschaulich, dass das gesamte neue Gesetz wieder einmal von hektischem Aktionismus getrieben ist und dabei vor allem zur Verunsicherung der Betroffenen führt, aber nicht zu neuen Erkenntnissen:
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§ 73 Abs. 3a AsylG-neu normiert zum einen eine Mitwirkungspflicht bei der Aushändigung von Unterlagen und die Duldung erkennungsdienstlicher Maßnahmen.
Liegen Unterlagen aber nicht vor, können sie auch nicht vorgelegt werden.
Liegen sie vor, werden aber nicht vorgelegt werden, liegen dennoch nicht die Voraussetzungen eines Widerrufs oder einer Rücknahme vor, denn es ist weder eine Änderung der Sachlage eingetreten noch lag eine Täuschung vor. Entsprechendes gilt für die Duldung erkennungsdienstlicher Maßnahmen.
Nicht vorgelegte Unterlagen bzw. die Nicht-Duldung einer erkennungsdienstlichen Maßnahme können also in keiner denkbaren Konstellation praktisch zu einem Widerruf führen. Eine Wertung zu Lasten des Betroffenen nach § 73 Absatz 3a Satz 6 AsylG-neu, dass auf Grund Nicht-Vorlage oder Nicht-Duldung die Voraussetzungen eines Widerrufs oder einer Rücknahme vorliegen, verstieße gegen Europarecht.
Praxisrelevant dürfte vor allem aber der Verweis auf § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG sein, wonach „erforderliche Angaben“ schriftlich oder mündlich zu erfolgen haben.
Dies bedeutet faktisch, dass nach bereits erfolgter Zuerkennung eine Anhörung zu den Asylgründen erfolgen kann.
Sollte der Betroffene zu dieser Anhörung nicht erscheinen oder keine ergänzenden Angaben machen, führt dies nicht zum Vorliegen der Voraussetzungen eines Widerrufs oder einer Rücknahme. Es liegt nämlich weder ein veränderter Sachverhalt im Vergleich zur ersten Entscheidung vor, noch kam es zu einer Täuschungshandlung oder ähnlichem.
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen müsste dem Betroffenen aber nachgewiesen werden. Die Einführung von Mitwirkungspflichten nach Anerkennung und diese flankierenden Sanktionsmechanismen sollen aber dazu führen, dass durch den Betroffenen selbst Anhaltspunkte für einen möglichen Widerruf oder eine Rücknahme beigebracht werden sollen. „Eine Mitwirkungspflicht des Betroffenen kann hierbei für das BAMF (…) zusätzliche Erkenntnisse begründen.“(4)
Dies liefe wie bereits dargelegt auf eine Beweislastumkehr hinaus und ist daher nicht europarechtskonform.
Zusammenfassend kann man wohl festhalten, dass es wieder eine Gesetzesverschärfung gibt, die rechtlich bedenklich ist und nur zu weiterer Verunsicherung führt. Bisherige Widerrufsverfahren führten in 99:3% aller Fälle eben nicht zu einem Widerruf. die damalige Praxis wurde zur Beschleunigung der Asylverfahren genutzt. Schon damals konnte man bei zweifeln davon abweichen. Jetzt müssen es die damals Betroffenen wieder ausbaden, dass eine populistische Sau durchs Dorf getrieben wird.