Gauland spricht vom Vogelschiss. Und dies mit voller Absicht. Es ist das gleiche Prinzip, das die AfD immer anwendet: Eine solche Formulierung wird in ein “ja, aber” verpackt, um dann darauf verweisen zu können, man habe ja alles ganz anders gemeint. Nein: Es ist nicht nur so gemeint, sondern schlicht die innere Haltung, die Gauland auch noch mal bestätigt. Deshalb muss es auch das Ende jeden Diskurses mit der AfD bedeuten.
„Hitler und die Nationalsozialisten sind nur ein Vogelschiss in 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“, sagte Gauland am Samstag nach Angaben der „Deutschen Welle“ beim Treffen der AfD-Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ (JA) in Seebach in Thüringen.
60 Mio. Tote aus dem Krieg, rd. 13 Mio. alleine durch deutsche Verfolgung und darunter rd. 6 Mio ermordete Juden, Rassismus, Hetze, Mord an Behinderten, Schwulen, Kommunisten, Sozialdemokraten, Verfolgung Andersdenkender – all das ist also nur noch ein Vogelschiss.
Dem vorangestellt hat er:
„Nur wer sich zur Geschichte bekennt, hat die Kraft, die Zukunft zu gestalten“ „Ja, wir bekennen uns zur Verantwortung für die zwölf Jahre.“ „Wir haben eine ruhmreiche Geschichte – und die, liebe Freunde, dauerte länger als die verdammten zwölf Jahre.“
Aber letztlich ist das nur blanke Ablenkung in üblicher AfD-Manier. Es wird immer ein Kontext aufgebaut, der zur Verharmlosung drastischer Aussagen dienen soll. Und viele Anhänger fallen darauf auch rein. Sie halten dann wehleidig die Empörung gegen Hetze für schlichtes bashing der AfD und ihrer Anhänger.
Simple perfide Taktik
Die Taktik ist eine Doppelte, aber auch einfach zu durchschauen: Man provoziert, steht damit massiv in der Öffentlichkeit, verweist auf andere Sätze oder angeblich anderen Kontext und darauf, dass man ja alles nicht so gemeint habe. Dann ist man empört darüber, dass man so falsch verstanden wurde und eint damit die Anhängerschaft, bringt die AfD ins Gespräch und überhöht ihre 12 % Stimmenanteil auf das mind. Doppelte. Wir erleben dies ja nun alle nicht zum ersten Mal.
Der Rest der Gesellschaft rennt dann diesen unsäglichen Aussagen hinterher. Auch das ist Prinzip geworden: Die Themen der Bundespolitik setzt die AfD und alle greifen sie auf. Noch nie hat eine Partei ihren Stimmenanteil in der Wirkung so effektiv einsetzen können wie die AfD. Sie sitzt in Teilen mit ihren Themen als Oppositionspartei sogar in der Bundesregierung und nimmt Äußerungen von Ministern wie Seehofers “Herrschaft des Unrechts” oder Ex-Ministern wie Dobrindt unverhohlen als Begründung für ihren „Anti-Merkel-Ausschuss“ auf.
Rechtsradikale Verharmlosung bis zur Bedeutungslosigkeit
Wer sich in einer Weise wie Gauland äußert, ist schlicht rechtsradikal. Die mit der Gleichstellung mit einem Vogelschiss verbundene Verniedlichung von Massenmord, Rassismus und Fachismus soll all das offenbar wieder salonfähig machen. Nicht nur Holocaust-Leugnung ist rechtsradikal, sondern auch dessen massive Relativierung. Der scheinbare Beschwichtigungsversuch im Kontext hilft nicht, sondern die Kernaussagen sind gewollt und im Plan.
Der Logik eines Gaulands und seiner Truppe folgend, müßte man zu Anschlägen in New York, Madrid, Berlin, Paris, Nizza oder London ja lange überlegen, was das dann wäre, wenn 12 Jahre und 60 Mio Tote ein Vogelschiss sind. Am Ende verhöhnt er damit nicht nur Holocaust-Opfer, sondern auch noch die Toten und Verletzten dieser feigen Anschläge bis zur kompletten Bedeutungslosigkeit.
Und wie als Bestätigung dafür reduziert der Vorsitzende der “Junge Alternative” Lohr den Vogel gleich mal zur Mücke:
Gauland stellt “richtig” und verstärkt jeden Vorwurf
Als Reaktion auf die Kritik setzt Gauland diesmal sogar noch einen drauf und stellt auch klar, dass er NICHT die zeitliche Einordnung alleine sondern den Inhalt meinte.
Der Parteisprecher Lüth zitiert ihn mit den Worten:
„Vogelschiss ist das, was ich von der Nazi-Zeit halte. Quantitativ auf die rund tausend Jahre deutsche Geschichte gesehen. Inhaltlich sowieso. Wer das missversteht, will es auch und der AfD schaden.“
Er bestätigt also noch einmal, dass er die 60 Mio Toten, Holocaust, Rassismus und Verfolgung INHALTLICH und eben nicht nur zeitlich betrachtet für einen Vogelschiss und damit für belanglos hält. Deutlicher kann man das wohl kaum sagen.
Damit sind wir nun auch kaum noch bei Holocaust-Relativierung, sondern im Grunde schon kurz vor Leugung: Vogelschisse sind zwar irgendwie ärgerlich, aber tun ja nicht weh oder haben eine wirkliche Relevanz.
Stellt man dies nun auch noch deutlich heraus, weiss man, dass Herr Gauland weder zurückrudert noch etwas anders gemeint haben kann als:
Tote und Verfolgung wie auch Holocaust wischt man sich einfach ab vom Ärmel. Ist ja nicht schlimm. Niemand braucht das wirklich ernst nehmen, was da passierte. Niemand muss über Holocuast nachdenken, es ist ja nur ein Vogelschiss und unwesentlich.
Rechtsradikaler kann man sich wohl kaum ausdrücken und etwas formulieren, nur um dann die Opferrolle gleich mit vorzubereiten.
Gegen was soll man sonst aufschreien, wenn nicht gegen diese Häme, Verharmlosung, Negierung und die damit verbundene Position gegen viele deutsche Staatsgrundsätze?
Der Rest der Politik spielt leider mit
Das entscheidende Problem ist dabei aber, dass die anderen Parteien in Themensetzung und wording, beim branding und beim Setzen von catchwords entweder der AfD nachlaufen oder solche Begriffe wie „Anti-Abschiebe-Industrie“ selbst setzen.
Das gesamte Thema Flucht und Asyl wird inzwischen von Schlagworten wie Missbrauch, Abschiebung und Kriminalität aus gedacht, nicht etwa von Flucht, Grundrecht, Menschlichkeit oder gar Integration. Die Minderheit und die Extreme dominieren die Mehrheiten. Damit nimmt man eine Diskursverschiebung nicht nur in Kauf, sondern befördert sie selbst aktiv mit. All das festigt den Nährboden der Rechtsextremen.
Sich dann gegen Äußerungen von Gauland und anderen zu stellen, ist das Eine. Mindestens befördert hat man sie mit dem Aufdrücken lassen von Themen und Ansichten aber auch. Dass es viel lautere Stimmen gegen die AfD geben muss, sollte allen klar geworden sein. Dazu gehört aber auch eine grundsätzliche inhaltliche Positionierung dagegen und nicht ein manchmal schon kafkaeskes Mitlaufen mit AfD-Positionen gegen eigene Koalitionen oder gar gegen den Staat an sich, wenn man den Rechtsstaat in Frage stellt.
Lauter werden und eigene Themen setzen
Nein, wir müssen viel lauter werden, uns viel deutlicher gegen diese Positionen und gegen rechtsradikale Aussagen stellen. Rd. 70.000 Menschen am letzten Wochenende waren ein gutes Zeichen. Aber das alleine reicht nicht.
Begriffe, Formulierungen und Aussagen der AfD oder eben von Gauland etc. haben es teilweise in den gesellschaftlichen Mehrheits-Konsens geschafft. Es ist irgendwie ok, wenn man gegen Ausländer ist. Und so schlimm ist das alles ja gar nicht, was die so sagen. Doch: Es ist schlimm! Stellt man sich gegen eine Minderheiten-Gruppe, ist schnell die nächste dran. Erst sind es Ausländer, dann Behinderte oder Schwule, Anhänger demokratischer Parteien oder eben alle “Rotgrünversifften”.
Was fehlt, ist die grundsätzliche gesellschaftliche Ächtung solcher Aussagen und derjenigen, die sie tätigen. Es gibt lauten Protest, aber keine Ächtung. Ein Gauland darf einfach so weitermachen.
Auch eine gewählte Partei oder ihre Vertreter haben in Talkshows nichts mehr zu suchen, wenn sie rechtsradikale Positionen vertreten. Man muss nicht alles vortragen und analysieren lassen, was Rechtsextreme so hervorbringen und für alles eine Bühne bieten. Selbst dann nicht, wenn eine Partei oder Person demokratisch gewählt wurde. Auch Nazis wurden einmal in Parlamente gewählt, und eine Wahl mag demokratisch sein, der Gewählte aber nicht.
Wir dürfen nicht eine Partei wie die AfD einfach machen lassen, um dann darauf nur zu reagieren. Wir müssen eigene Themen setzen, eigene catchwords prägen, hashtags finden und headlines kreieren. Wir müssen die Diskussionshoheit wiedergewinnen, den Diskurs wieder verschieben und demokratische und humanistische Werte in den Vordergrund stellen.
#Gauland und #Abschiebung trenden bei Twitter, #Integration, #Inklusion nicht.
Sonst gucken wir nur einfach weiter zu, wie diese immer radikalere Partei den Takt angibt, ausfällig wird, sich in widerwärtiger Weise gegen unsere Grundwerte stellt wie es Gauland gerade mal wieder tat und dem Rest der Republik die Themen und Ansichten diktiert.
Protestieren dagegen ist dann nett, aber eben auch zu spät. Das gilt für die Zivilgesellschaft, aber noch viel mehr für die die anderen Parteien. Nur der Ochse zieht den Karren, vor den man ihn spannt.
Danke, das war klar und nötig!
Ich hatte den Gauland-Quatsch im Ausland gar nicht mitbekommen – wieso verklagt den denn niemand mal wegen Volksverhetzung?