Frau Prof. Dr. Gesine Schwan und Gerald Knaus haben gemeinsam einen Vorschlag formuliert, Kernpunkt ist eine Zusammenarbeit von Staaten wie Deutschland, Frankreich und den Niederlanden zusammen mit z.B. Spanien, die grundsätzlich für eine rechtsstaatliche Asylpolitik eintreten und diese auch fortsetzen wollen. Ihr Vorschlag sei rechtskonform und schnell umsetzbar. Wir stellen ihn im folgenden Beitrag der beiden Autoren vor.
Kernpunkte dieses Vorschlags sind: eine Koalition von betroffenen Staaten, in denen das Recht auf Asyl noch verteidigt werden soll; transparente und rechtskonforme Beschleunigung von Asylverfahren, schnelle Rückführungen jener, die keinen Schutz in der EU brauchen, freiwillige dezentrale Ansiedlung anerkannter Flüchtlinge und Umsiedlung von Schutzbedürftigen aus der Türkei. Und dadurch konkrete Ergebnisse noch vor dem Europaparlamentswahlen 2019.
- Im Format einer „Verstärkten Zusammenarbeit“ vereinbaren Frankreich und Deutschland im Verbund mit den Niederlanden, der Schweiz und Schweden den südeuropäischen Ankunftsländern Griechenland, Italien und Spanien solidarisch bei der Durchführung schneller qualitätsvoller Asylverfahren und der dezentralen Ansiedlung von anerkannten Asylbewerbern sowie bei der Rückführung nicht anerkannter Flüchtlinge zu helfen. Es geht um eine Demonstration von Erfolg, der die gesamte europäische Debatte beeinflussen soll: es ist möglich Kontrolle und Empathie zu verbinden.
- Die Asylverfahren sollen in griechischen, italienischen und gegebenenfalls spanischen Hotspots inspiriert vom niederländisch/schweizerischen Vorbild, das Qualität mit Geschwindigkeit verbindet, ablaufen. (Das ist im Einklang mit bestehendem nationalem Recht in diesen Ländern möglich). Durch sofortige Zuordnung von bezahlten Rechtsanwälten zu den Asylsuchenden und von Nichtregierungsorganisationen zu den Verfahren werden Schnelligkeit und Solidität der Verfahren erreicht. Einschließlich Revision brauchen sie dank juristischer Kompetenz und dank hergestellter Transparenz höchstens zwei Wochen bis zu einer Erstinstanz-Entscheidung, und weitere höchstens 6 Wochen bis zu einer Berufungsentscheidung. Personal aus anderen europäischen Ländern soll bei der kompetenten Prüfung der Asylanträge helfen. Die Asylzusage gilt für alle Mitgliedsländer der „Verstärkten Zusammenarbeit“.
- Für die anerkannten Flüchtlinge bieten die genannten Länder sofort eine freiwillige Aufnahme an, wie sie Deutschland aus Griechenland noch im Herbst 2017 durchführte. Zugleich wird ein neues Verfahren freiwilliger dezentraler Aufnahme von anerkannten Flüchtlingen durch die Kommunen und Städte eingerichtet. Kommunen sind eingeladen, auf der Basis beratender Multi-Stakeholder Beiräte (Vertreter der Gemeindeverwaltungen, der Unternehmen und von Nichtregierungsorganisationen, einschließlich, wenn möglich, wissenschaftlicher Beratung) darüber zu entscheiden, ob und in welcher Zahl sie im Rahmen ihrer eigenen weiteren Entwicklung Flüchtlinge aufnehmen wollen. Ihre Angebote schicken sie an die Hotspots, wo die anerkannten Flüchtlinge sich ihrerseits für drei Städte/Kommunen bewerben können. Hierzu muss ein Matching-System eingeführt werden.
- In der ersten Phase zahlen die Mitglieder der „Verstärkten Zusammenarbeit“ in einen Fonds ein, der außerhalb des EU-Haushalts angelegt ist und bei dem die Gemeinden die Erstattung ihrer Integrationskosten beantragen können. Sie erhalten dann für ihre eigene Entwicklung (Wohnungsbau, Infrastruktur, Bildung, Kultur etc.) zusätzlich die gleiche Summe.
- Perspektivisch sollte die EU im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen einen solchen Fonds als „Kommunalen Integrations- und Entwicklungsfonds“ anlegen, der neben der Flüchtlingsintegration zielgenau kommunale Investitionen fördert. Die Mitgliedstaaten beschließen, Flüchtlingen, um die sich Kommunen aus ihrem Hoheitsbereich bewerben, die Einreise zu gestatten. Wenn sie das ablehnen, können ihre Kommunen aus dem Fonds keine Investitionsförderung erhalten.
- Jene deren Antrag abgelehnt wird oder bei denen entschieden wird, dass die Türkei für sie ein sicheres Land ist, werden in die Türkei zurückgeführt. Dazu wird eine glaubwürdige Ombudsperson für das Abkommen berufen, die in jedem Einzelfall der Frage der Behandlung jener nachgehen kann, die in die Türkei zurückgeschickt werden. Dazu werden wo möglich freiwillige Rückkehrprogramme in Herkunftsländer und Rückkehrberatung ausgebaut.
- Parallel beteiligen sich die Mitglieder der betroffenen Länder verstärkt bei der in der EU-Türkei-Erklärung vorgesehenen Umsiedlung von Schutzbedürftigen aus der Türkei.
- Ankara sollte weiters angeboten werden, die EU-Türkei-Erklärung auch auf die Landgrenze mit Griechenland auszudehnen – im Gegenzug könnte die schon versprochene finanzielle Hilfe für Flüchtlinge in der Türkei noch verlängert und aufgestockt werden (das ist im Interesse aller) .
Ein realistisches Szenario für Griechenland 2018
Eine realistische Annahme ist, dass im Rahmen einer solchen Initiative die Zahl derjenigen, die aus der Türkei nach Griechenland kommen, zunächst schnell wieder auf das Niveau der ersten Jahreshälfte 2017 fällt (mit etwa 1.500 Ankommenden im Monat), und dann noch niedriger. Wenn 1.000 abgelehnte Asylwerber im Monat in die Türkei zurückgeschickt würden, würde die Zahl der Ankommenden schnell fallen.
Dafür sollten EU-Staaten für jeden in Griechenland von dieser Mission anerkannten Flüchtling (500 im Monat?) einen Flüchtling aus Griechenland aufnehmen, und die Zahl der Umsiedlungen aus der Türkei ausbauen (auf mindestens 2.000 im Monat). So könnte die EU Griechenland helfen, die unzumutbaren Zustände auf den griechischen Inseln beseitigen, ein Model für schnelle qualitätsvolle Asylverfahren liefern, den Balkan entlasten, und den Druck auf die Grenzen Deutschlands spürbar reduzieren. Und all das im Einklang mit europäischem Recht und ohne Asylsuchende schlecht zu behandeln. Und die Verteilung anerkannter Flüchtlinge könnte zum Ausbau eines auf Freiwilligkeit beruhenden Systems flexibler europäischer Solidarität führen.
Mehr über das niederländische Asylverfahren: “Amsterdam in the Mediterranean” – How a Dutch-style asylum system can help resolve the Mediterranean refugee crisis (26 January 2018)
Mehr über den Vorschlag: FAZ, “Niemand sollte jahrelang in der Luft hängen” (23 April 2018)
Prof. Dr. Gesine Schwan ist Mitgründerin, Gesellschafterin und Präsidentin der HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform. Frau Schwan leitet den Bereich der Trialoge.
Gesine Schwan ist Politikwissenschaftlerin. Sie absolvierte ein Studium der Romanistik, Geschichte, Philosophie und Politologie in Berlin und Freiburg mit Studienaufenthalten in Warschau und Krakau.
Seit 1972 ist sie Mitglied der SPD und seit 2014 ist Gesine Schwan Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD und seit Dezember 2015 Co-Vorsitzende des Sustainable Development Solutions Network, SDSN Germany.
Von 1977 – 1999 war sie Professorin für Politikwissenschaft, sowie von 1992 – 1994 Dekanin für den Fachbereich Politikwissenschaft an der FU Berlin. 1999 wurde sie Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und trug entscheidend zu deren Entwicklung bei.
Von 2005 -2009 war Gesine Schwan Koordinatorin der Bundesregierung für die grenznahe und zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit mit Polen. Sie kandidierte 2004 auf Vorschlag von SPD und Bündnis90/Die Grünen und 2009 auf Vorschlag der SPD für das Amt des Bundespräsidenten
Gesine Schwan gründete gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern im März 2009 die HUMBOLDT-VIADRINA School of Governance und war von Juni 2010 – Juni 2014 deren Präsidentin.
Gesine Schwan erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2004 den Marion Dönhoff Preis für internationale Verständigung und Versöhnung und 2006 die Ehrendoktorwürde des Europäischen Hochschulinstituts Florenz. Sie ist Trägerin des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, des Ordens „Bene merito“ der Republik Polen und Großoffizier der Ehrenlegion der Republik Frankreich.
Kontakt: office.schwan@governance-platform.org
Gerald Knaus (Österreich) ist Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI). Er studierte in Oxford, Brüssel und Bologna und unterrichtete Wirtschaftslehre an der Staatlichen Universität von Tschernowitz in der Ukraine und arbeitete in Bosnien fünf Jahre lang für verschiedene NGOS und internationale Organisationen. Gerald war Direktor der Lessons Learned and Analysis Unit (LLA) der EU-Abteilung von UNMIK in Kosovo (2001-2004). Er veröffentlichte viele Artikel, die breite Debatten hervorriefen, darunter “Travails of the European Raj”zu Bosnien (2003) und “Member State Building and the Helsinki Moment” zur Rolle der EU auf dem Balkan (2004). Er ist zudem Mitverfasser von über 70 ESI-Berichten und 12 Filmskripten für Fernsehdokumentationen zu Südosteuropa. Gerald ist Gründungsmitglied des European Council on Foreign Relations und war für fünf Jahre Associate Fellow am Carr Center for Human Rights Policy der Harvard University Kennedy School of Governance in den USA, wo er 2010/2011 zu State Building und Interventionen unterrichtete. Seit August 2016 ist er Mercator-IPC Senior Fellow in Istanbul. Er lebt in Istanbul und Paris und schreibt den Blog www.rumeliobserver.eu.
Bekannt wurde er als “Erfinder” des EU-Türkei-Abkommens, das im Frühjahr 2016 umgesetzt wurde. Wirkung und auch Hintergründe sind dabei unverändert umstritten.
Kontakt: g.knaus@esiweb.org