Bisher gab es nur drei Urteile des VG Berlin bei sog. “Aufstocken-Klagen” von syrischen Geflüchteten, denen zwar subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, nicht jedoch der Flüchtlingsstatus. Diese drei Urteile waren zudem auch noch unterschiedlich. Während die 23. Kammer den Flüchtlingsstatus bejahte, lehnte die 4. Kammer dies ab.
Nun gibt es zwei weitere Urteile, bei denen zwei Syrern der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. In beiden Fällen führe die Wehrdienstentziehung dazu, dass das syrische Regime mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit hieraus wie auch der Flucht und Asylantragstellung eine oppositionelle Haltung ableite und mit weiteren Verfolgungshandlungen zu rechnen sei.
Zusätzliche Voraussetzung ist dabei jedoch, dass zwischen Ausreise und Beginn des Wehrdienstes ein zeitlicher Zusammenhang bestehe, der hier bei einem zeitlichen Abstand von drei bzw. sechs Monaten angenommen wird.
Das Urteil ist von der 4. Kammer des VG Berlin, die noch im März zumindest einen Fall angelehnt hatte.
Im Folgenden die Pressemitteilung:
Wehrdienstentziehung kann zu Flüchtlingsschutz für Syrer führen (Nr. 18/2017)
Syrische Männer, die sich durch ihre Flucht aus Syrien dem Wehrdienst entzogen haben, können unter bestimmten Voraussetzungen die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus beanspruchen. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin erstmals in zwei Grundsatzurteilen entschieden.
Die Kläger, zwei syrische Staatsangehörige im Alter von 20 bzw. 28 Jahren, hatten ihre Heimat im September 2015 verlassen und waren nach Deutschland eingereist. Die Einberufung des Jüngeren stand nach Erreichen der Volljährigkeit innerhalb weniger Monate bevor. Der Ältere der beiden Kläger hatte wegen seines Studiums hinsichtlich der Ableistung des Wehrdienstes einen Aufschub erhalten, der noch bis zum März 2016 galt. Auf ihren Asylantrag hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beiden den subsidiären Schutz zuerkannt; mit ihrer Klage begehrten sie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach den Urteilen der 4. Kammer haben die Kläger hierauf einen Anspruch. Denn ihnen drohe bei einer Rückkehr nach Syrien eine zielgerichtete politische Verfolgung. Der syrische Staat werde ihnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der Wehrdienstentziehung, ihrer illegalen Ausreise aus dem Land und der Asylantragstellung eine oppositionelle Haltung jedenfalls zuschreiben. Angesichts der vermeintlichen oder tatsächlichen Oppositionellen in Syrien drohenden Folter bis hin zum Tod bedürfe es nur geringer Anhaltspunkte für die Annahme einer Verfolgungswahrscheinlichkeit. Neben einer – als solche nicht unverhältnismäßigen – Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung müssten die Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen mit weiteren Verfolgungshandlungen rechnen. Vor allem der Umstand, dass sie bei einer Rückkehr durch einen Registerabgleich unmittelbar als Wehrdienstentzieher identifiziert werden könnten, hebe sie von der Gruppe der aus sonstigen Gründen geflohenen Syrer ab. Dies gelte aber nur, wenn zwischen Ausreise und Beginn der Wehrpflicht ein gewisser zeitlicher Zusammenhang bestehe, der hier – drei bzw. sechs Monate vor der bevorstehenden Einberufung – gegeben sei.
Gegen das Urteil ist der Antrag auf Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg statthaft.
Urteile der 4. Kammer vom 16. Mai 2017 (VG 4 K 452.16 A und 4 K 683.16 A)