Das VG Berlin hält nach einem Urteil aus Dezember 2016 systematische Mängel beim Asylverfahren in Ungarn nicht mehr für gegeben und lässt auch Dublin-III-Überstellungen nach Ungarn damit wieder zu.
Aus der Pressemitteilung zum Urteil VG Berlin:
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Anfang 2015 hatte das Verwaltungsgericht Berlin in verschiedenen Eilverfahren systemische Mängel für Ungarn bejaht.
Nach Ansicht der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts rechtfertigt die zwischenzeitliche Entwicklung der Verhältnisse in Ungarn eine solche Bewertung nicht mehr. Die Befürchtung, Dublin-Rückkehrer aus der Bundesrepublik Deutschland könnten von Ungarn direkt nach Serbien abgeschoben werden, wo ihnen der Zugang zu einem fairen Asylverfahren nicht offen stehe, sei unbegründet.
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Auch für unzumutbare Haft- und Aufnahmebedingungen in Ungarn gebe es keine belastbaren Anhaltspunkte mehr. Hauptgrund hierfür sei, dass Ungarn die nationalen Bestimmungen über die Asylhaft im August 2015 an die maßgeblichen Vorgaben der Europäischen Union angepasst habe und die ungarische Justiz gegen Haftentscheidungen im Übrigen effektiven Rechtsschutz gewähre.
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Auch wenn die aktuelle Entwicklung aus dem Januar 2017 nicht bekannt war, dass Ungarn die grundsätzliche und generelle Inhaftierung von Geflüchteten für die Dauer des Asylverfahrens plant und beabsichtigt, ist dieses Urteil mit der grundsätzlichen Änderung der Lagebeurteilung erstaunlich.
Das OVG Niedersachsen hat gerade einen Monat vor der Berliner Entscheidung, also ebenfalls noch in Unkenntnis dieser Pläne, eine komplett andere Beurteilung der Lage in Ungarn vorgenommen und Rücküberstellungen kategorisch ausgeschlossen.
Hier der Leitsatz aus dem Urteil OVG Niedersachsen 8 LB 92/15 vom 15.11.2016:
Leitsatz:
1. Die Zuständigkeit Ungarns ist wegen systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens sowie der dortigen Aufnahmebedingungen ausgeschlossen (unter Auswertung zahlreicher Länderinformationen). Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintritt) im Wege der Ermessensreduzierung auf Null.
2. Dem Kläger droht bei Überstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK, insbesondere droht eine Inhaftierung unter mangelhaften Haftbedingungen ohne individualisierte Prüfung von Haftgründen.
3. Ein weiterer systemischer Mangel besteht darin, dass nicht ausgeschloßen ist, dass Ungarn Dublin-Rückkehrende ohne inhaltliche Prüfung ihrer Asylanträge nach Serbien abschiebt, was einen indirekten Verstoß gegen das Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK zur Folge hätte.
4. Die Abschiebungsanordnung ist überdies rechtswidrig, da nicht von einer realistischen Möglichkeit zur Durchführung der Abschiebung ausgegangen werden kann.
Die Sachverhalte sind dabei identisch, die Beurteilung offenbar diametral.
Das Berliner Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Berufung wurde zugelassen. Für Berlin bedeutet dies jedoch erst einmal, dass vermutlich alle weiteren Entscheidungen auf Basis dieses Urteils gefällt werden. Anwaltlich kann nur unter Einbeziehung aller anderen Urteile und auch der Ankündigung der grundsätzlichen Inhaftierung Asylsuchender in Ungarns versucht werden, dass sich die grundsätzliche Einschätzung des VG Berlin wieder verändert.
Link zur Pressemitteilung des VG Berlin zu VG 3 K 509.15 u.a.
Link zum Urteil OVG Niedersachsen 8 LB 92/15