Kirchenasyl ist keine Flucht

Bundesverwaltungsgericht bestätigt, dass offenes Kirchenasyl keine Flucht ist und die Dublin-Überstellungsfrist nicht 18, sondern 6 Monate beträgt.

Seit 2018 unterstellte das BAMF pauschal und grundsätzlich, dass jemand im Kirchenasyl als „flüchtig“ gelte und sich deshalb die Überstellungsfrist im Dublin-Verfahren auf 18 Monate verlängere. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies nun geklärt. Es bleibt bei 6 Monaten Überstellungsfrist. 

Die zwischen Kirchen und BAMF getroffenen Vereinbarungen wurden im Sommer 2018 einseitig vom BMI und BAMF verändert. Im Ergebnis wurden damit grundsätzlich Kirchenasyle erschwert, was ganz auf der Linie von BAMF-Präsident Sommer liegt, der im Juni 2018 schon davon sprach, dass Kirchenasyle grundsätzlich rechtsmissbräuchlich wären und man das gar nicht braucht. 

Unabhängig von dieser Erschwerung nahm das BAMF schon länger in anerkannten Kirchenasyl-Fällen an, dass sich die Überstellungsfrist nach der Dublin-III-Verordnung von den normalen 6 Monaten auf nun 18 Monate verlängert, weil die betroffene Person ja durch das Krichenasyl auf der Flucht und untergetaucht sei. 

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) bestätigte nun die Beschlüsse der Vorinstanzen. Danach  kann ein Kirchenasyl grundsätzlich dann nicht als „Flucht“ und „Untertauchen“ gewertet werden, wenn doch im Rahmen des Kirchenasyls bekannt ist, wo sich die Person tatsächlich aufhält. 

Das BVerwG bestätigte die Annahme der Vorinstanz: 

Das Berufungsgericht hat ein “Flüchtigsein” der Kläger im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) habe mit Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – geklärt, dass ein Antragsteller flüchtig im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO sei, wenn er sich den für die Überstellung zuständigen nationalen Behörden entziehe, um die Überstellung zu vereiteln. Dies könne angenommen werden, wenn die Überstellung nicht durchgeführt werden könne, weil ein Asylantragsteller die ihm zugewiesene Wohnung verlassen habe, ohne die zuständigen nationalen Behörden über seine Abwesenheit zu informieren, sofern er über die ihm obliegenden Pflichten unterrichtet worden sei. Nach dieser Entscheidung müsse die Flucht kausal für die Nichtdurchführbarkeit der Überstellung sein. Daran fehle es, wenn im offenen Kirchenasyl den Behörden die Adresse des Asylbewerbers bekannt sei. Der Staat sei durch das Kirchenasyl weder rechtlich noch tatsächlich daran gehindert, die Überstellung durchzuführen.

……

In der Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, dass es im vorliegenden Zusammenhang auf die für die Durchführung der Überstellung zuständigen Behörden ankommt; ihnen muss sich der Antragsteller gezielt entziehen, um die Überstellung (durch sie) zu vereiteln (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 [ECLI:EU:C:2019:218] – Rn. 70). Verzichten diese (Landes)Behörden auf eine Überstellung von Personen im Kirchenasyl, obwohl sie an einer Überstellung rechtlich nicht gehindert wären, ist die Überstellung rechtlich nicht unmöglich. Das gilt auch dann, wenn das für die Durchführung des Dublin-Verfahrens zuständige Bundesamt eine zwangsweise Durchsetzung der Überstellung aus dem Kirchenasyl befürwortet (was mit der Beschwerde im Übrigen nicht einmal ausdrücklich vorgetragen wird) und dies lediglich nicht durchsetzen kann.

BVerwG 1 B 19.20 vom 08.06.2020

Kurzfassung: Ist demnach dem BAMF und den Überstellungsbehörden der Aufenthaltsort bekannt, kann es sich nicht um ein „Flüchtigsein“ i.S. der Dublin-III-VO handeln. Die Frist von 18 Monaten ist deshalb bei Fällen im Kirchenasyl nunmehr grundsätzlich erledigt. Es sind immer 6 Monate. 

Link zum Beschluss des BVerwG

2 Gedanken zu „Kirchenasyl ist keine Flucht“

  1. Das BAMF hat (soweit ich es richtig verstehe, anders als im Artikel beschrieben) einen insoweit bindenden Erlass des BMI (https://fragdenstaat.de/anfrage/erlass-zu-kirchenasyl/) umgesetzt, nach dem Menschen im Kirchenasyl als “flüchtig” im Sinne von Dublin anzusehen sind.

    Ist dieser Erlass durch den Beschluss des BVerwG nun (ex tunc oder ex nunc) unwirksam oder ist er weiter geltende Rechtsgrundlage für die Arbeit des BAMF?

    Antworten
    • Rechtsprechung des BVerwG überlagert natürlich ab nun das Vorgehen beim Kirchenasyl. Im Idealfall ändert das BAMF nach solchen Rechtsprechungen automatisch das Vorgehen, wenn sie die grundsätzliche Anwendbarkeit anerkennen. Dies sollte so sein, wenn dir Anschrift bekannt ist.

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.