Das Desaster um Sami A.

 

Sami A. muss zurückgeholt werden. Das hat nun auch das OVG Münster so entschieden und damit vermutlich Entsetzen bei allen ausgelöst, die dies politisch zu vertreten haben. Denn: Es ist in mehrfacher Hinsicht ein Super-GAU, der damit passiert ist. Aber auch ein Zeichen für den funktionierenden Rechtsstaat. 

Der Reihe nach: Das VG Gelsenkirchen hatte ein Abschiebeverbot bestätigt, weil aus seiner Sicht nicht klar genug dargelegt wurde, dass Sami A. in Tunesien keine Folter droht. Gleichzeitig hatte das Gericht mehrfach nachgefragt, ob eine Abschiebung geplant sei. Dies wurde verneint, obwohl der für den 12.07. abends angesetzte und abgesagte Flug längst durch einen neuen am nächsten Morgen, nur sechs Stunden später,  ersetzt worden war. 

Damit hat das Gericht ganz normal und ohne Stillhaltezusage entschieden und diesen Beschluss am nächsten Morgen den beteiligten Behörden bekannt gegeben.  Der Flug war schon gestartet, aber noch nicht gelandet.  Behörden und Ministerien behaupteten dennoch, dass es zu spät gewesen sei, die Abschiebung sei schon vollzogen. 

Das OVG in Münster stellt nun Zweierlei fest:

  1. Der Gerichtsbeschluss war rechtzeitig genug bekannt, um den Flug und damit die Abschiebung abzubrechen. Die Behauptungen insbesondere des Innenministeriums sind damit widerlegt. Man hat sich bewusst über den Gerichtsbeschluss hinweggesetzt.
  2. Wenn das Gericht auf gut deutsch nicht belogen worden, sondern über den zweiten, längst angesetzten, Flug informiert gewesen wäre, hätte die Abschiebung ohnehin erst gar nicht stattgefunden, denn dann wäre die Behörden noch am Donnerstag informiert worden.

 

Die Entscheidung sei dem Bundesamt um 8.14 Uhr und damit eine Stunde vor Abschluss der Abschiebung durch Übergabe des A. an die tunesischen Behörden bekannt gegeben worden. Die Stadt Bochum habe spätestens um 8.44 Uhr von ihr Kenntnis genommen. Es sei nicht dargetan, dass die Abschiebung nicht mehr hätte abgebrochen werden können; im Übrigen hätte dies nicht die Rechtswidrigkeit ihres weiteren Vollzugs berührt.

(Aus Beschluss OVG Münster)

 

 

Das Gericht wusste nicht, dass die Abschiebung unmittelbar bevorstand. Es hat nach der Aussage des BAMF zur Stornierung des Flugs für den 12. Juli 2018 (Ab­flugzeit 22.15 Uhr) be­rechtigterweise angenommen, dass keine Notwendigkeit zu sofortigem Handeln besteht. Der zu diesem Zeitpunkt bereits feststehende, ledig­lich knapp 9 Stunden später angesetzte weitere Flugtermin am 13. Juli 2018, 6.30 Uhr, ist dem Verwaltungsgericht ‑ trotz dessen Nachfragen – nicht genannt worden.

(OVG Münster)

 

Nun auch durch ein weiteres Gericht rechtskräftig beschieden, wurde hier also getrickst. Man hat versucht, den Rechtsstaat zu umgehen und gezielt Informationen verschwiegen bzw. einen rechtzeitig ergangenen Gerichtsbeschluss einfach ignoriert. 

Es ist nun zwar noch eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht möglich, aber das ist keine weitere Instanz,. sondern eben nur eine Beschwerdemöglichkeit, die auch erst einmal zugelassen werden muss. Inhaltlich ist es eher unwahrscheinlich, dass das BVerfG anders urteilen wird. 

„Normale“ Menschen verstehen den ganzen Vorgang sicher kaum noch: Ein sog. „Gefährder“ als der Sami A. eingestuft ist, soll abgeschoben werden, und das finden sicher viele richtig. Zunächst einmal bedeutet es jedoch, dass ihm keine Straftat nachgewiesen werden konnte und er nicht verurteilt wurde. Die Bezeichnung als Gefährder ist rechtlich eine Null-Nummer, denn es gibt keine verbindliche Definition dafür. Einigkeit besteht nur, dass jemand in diesem Status eben (möglicherweise noch) keine Straftaten begonnen hat. 

Dennoch wird den meisten Menschen nicht klar sein, warum nun Einige die Entscheidung zur Rückholung begrüßen. Im Gegenteil, sie werden mit großem Unverständnis darauf reagieren und den Rechtsstaat in Frage gestellt sehen. 

Das Gegenteil ist der Fall: Die Entscheidung des OVG befasst sich nicht mit der Frage, ob und wenn ja welche Gefahr von Sami A. ausgeht. Sie befasst sich auch nicht mit der Frage, ob ihm eventuell Folter droht oder nicht. Ausschließlich eines ist Gegenstand des Verfahrens: War die Abschiebung rechtmäßig oder nicht?

Und die Antwort ist eindeutig: Nein, Die Abschiebung war nicht rechtmäßig. Sie war es nicht nur aufgrund eventuell zweifelhafter Rechtsfragen sondern weil ein möglicher Abbruch bewusst nicht erfolgt ist und zudem die späte Übermittlung des Beschlusses nur auf Rumtrickserei durch Behörden zurückzuführen ist. Beides ist klar im Beschluss festgestellt. 

Und beide Umstände sind extrem bedenklich:  Das politische Interesse an einer Abschiebung war deutlich. Zu verantworten hat dies formell der Innenminister aus NRW. Dabei muss man allerdings auch bedenken, dass der Fall Sami A. unter besonderem Fokus der Bundesregierung stand: Bundeskanzlerin Merkel erwähnte den Fall ausdrücklich in ihrer Regierungserklärung im Bundestag. Innenminister Seehofer brachte sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, dass so jemand noch in Deutschland sei und das ja gar nicht ginge. Der Fall wurde medial eindeutig vorbereitet. Und BMI wie auch das Auswärtige Amt oder das Kanzleramt haben auch an den formellen Voraussetzungen mitgewirkt. 

Dass es nun zu einer klar festgestellten fehlerhaften Abschiebung unter Missachtung eines Gerichtsbeschlusses und Taschenspielertricks vor Gericht kam, ist angesichts der besonderen Bedeutung dieses Falles besonders tragisch. Es mag in diesem Fall seit Jahren ein Problem sein, eine Abschiebung tatsächlich umzusetzen. Nun jedoch so dilettantisch zu scheitern, ist jedoch ein Super-Gau. 

Einerseits legt er offen, wie egal in diesem Fall den Behörden die gerichtlichen Umstände und Entscheidungen waren. Andererseits versteht kaum jemand, der sich nicht wirklich mit Verwaltungsrecht beschäftigt, warum man nun ausgerecht diesen Mann zurückholen muss. 

Und völlig pervertiert wird dies unter Umständen dann, wenn im normalen Hauptsacheverfahren später dann doch eine Abschiebung als Ergebnis herauskommt. 

Statt also nun einen wirklich gesicherten Status abzuwarten und erst dann auf sicherer Grundlage abzuschieben, hat man den Rechtsstaat mit Füßen getreten. Hier wurde gerichtlich festgestellt gezielt ein Gerichtsbeschluss umgangen. Das muss hoffentlich auch allen eingängig sein, die in Sami A. eine unerwünschte Person sehen. 

Rechtsstaatliche Verfahren können nicht so einfach missachtet werden. Ansonsten macht sich ein Staat unglaubwürdig. Dass dies in diesem Fall versucht wurde, ist deshalb besonders verheerend. Und es ist auch gut so, dass dem Staat und den handelnden Behörden hier Grenzen aufgezeigt werden. 

 

 

Weiterführende Unterlagen

Pressemitteilung des OVG Münster 

Erläuterungen des OVG Münster zu einzelnen Rechtsfragen 

 

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